Das Blut der Unschuldigen: Thriller
Gral zu finden, sondern sich ausschließlich mit der Chronik Bruder Juliáns beschäftigt. Wenn ihn mein Vater gebeten hat, zu uns zu kommen und sich anzuhören, was ein Historikerkollege zu sagen hatte, hat er sich meist mit einer Ausflucht entschuldigt, und wenn er zufällig doch hier war, hat er alles zurückgewiesen, was nicht zu seinen Vorstellungen passte. Oft hat er sich nicht einmal angehört, was die Leute zu sagen hatten. Doch wegen Arnauds wissenschaftlichen Rufes hat es mein Vater für richtig gehalten, ihn an dem Projekt zu beteiligen, denn er konnte unseren anderen Spezialisten Türen öffnen, die ihnen sonst verschlossen geblieben wären. Einzig und allein darauf ist es ihm angekommen.«
»Sie haben also nichts gefunden?«
»Nein. Aber wir suchen weiter nach Beweisen für die Theorie, von der ich vorhin gesprochen habe. Die Beweise müssen hier sein, es ist eine bloße Frage der Zeit, bis wir sie finden.
Würden Sie gern für uns arbeiten?«, fragte Raymond begeistert.
»Das … das wäre sicher sehr interessant. Aber wahrscheinlich wird daraus nichts … Ich muss meine Studien noch fortsetzen.«
»Keine falsche Bescheidenheit! Professor Arnaud hat gesagt, dass Sie sein bester Schüler sind.«
»Das bedeutet nicht, dass ich bereits alles weiß. Ja, ich wüsste gern, ob Sie etwas finden, das wäre hochinteressant…«
»Rufen Sie mich einfach an, wenn Sie gelegentlich ohne Arnaud herkommen und sich einer unserer Arbeitsgruppen anschließen wollen, auch wenn es nur für kürzere Zeit ist. Bestimmt wäre Ihr Wissen für unsere Suche nützlich, und ich bin sicher, dass Sie sich mit meinem Vater gut verstehen würden. Im Augenblick suchen übrigens Leute von uns in Edinburgh, denn der Gedanke, dass die Templer den Gral dort versteckt haben, ist nicht so abwegig, wie man denken könnte.«
»Und was werden Sie tun, wenn Sie ihn finden?«
»Sie wissen doch, was Bruder Julián in seiner Chronik geschrieben hat: Eines Tages wird irgendjemand das Blut der Unschuldigen rächen. Unsere Familie kann die Verbrechen der römischen Kirche auf keinen Fall ungesühnt lassen. Wir wollen sie vernichten. Sie soll für den Fanatismus zahlen, mit dem sie unserem Land die Freiheit genommen hat. Die Verantwortung für diese Aufgabe hat die Familie d’Amis über Jahrhunderte hinweg von einer Generation zur nächsten weitergegeben, und mein Vater träumt davon, derjenige sein zu dürfen, der die Rache vollendet.«
»Glauben Sie denn, dass es so einfach sein wird, die Kirche zu vernichten?«
»Aber ja. Das sind wir dem Languedoc schuldig, und es wird
uns gelingen, sobald wir im Besitz des Grals sind, ganz gleich in welcher Gestalt er sich zeigt.«
Lächelnd hörte sich Aguirre all das an. Ihm kam der Gedanke, dass Raymond nicht ganz richtig im Kopf war. Wie mochte da erst der Vater sein?
Ihm war nicht recht klar, ob es sich bei diesen Menschen um gefährliche Fanatiker oder friedfertige Schwärmer handelte. Als er merkte, dass Raymond ihn ansah, lächelte er.
»Da ich Sie für einen Ehrenmann halte, bitte ich Sie, mir Ihr Wort zu geben, dass Sie Arnaud nichts von dem weitersagen, worüber wir soeben gesprochen haben. Mir ist klar, dass Sie ihm als sein Schüler etwas schulden, aber es würde mich beruhigen, wenn Sie mir das versprechen könnten, denn eigentlich hätte ich Ihnen all das gar nicht sagen dürfen.«
Bei diesen Worten Raymonds kam sich Aguirre hinterhältig vor. Ihm würde nichts anderes übrig bleiben, als in der Beichte zu bekennen, was er da tat, und Gott um Verzeihung zu bitten. Mit schlechtem Gewissen reichte er Raymond die Hand und versicherte ihm: »Keine Sorge, ich werde das Geheimnis bewahren.«
»Bitte auch meinem Vater gegenüber … Er würde mir nicht verzeihen, dass ich es ausgeplaudert habe. Er hält mich für zu vertrauensselig … ich hoffe aber, mich in Ihnen nicht getäuscht zu haben.«
Arnaud, der sich beiseitegehalten und einige Zigaretten geraucht hatte, wobei er so getan hatte, als interessierte er sich für die steinernen Überreste der Burg, trat näher.
»Ich glaube, wir müssen an den Aufbruch denken. Ich freue mich darauf, Ihren Vater wiederzusehen«, sagte er zu Raymond gewendet.
»Gewiss. Wie es Ihnen beliebt.«
18
Während sich der Graf dem Professor gegenüber kalt und distanziert verhielt, nahm er Aguirre gleichsam mit offenen Armen auf, was zweifellos mit dem Interesse zusammenhing, das sein Sohn an dem jungen Mann zeigte. An jenem ersten Abend war der Graf
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