Das Blut der Unschuldigen: Thriller
alle lernen zu schießen, mit Sprengstoffen umzugehen und die Waffen einzusetzen, über die wir verfügen. Leider sind es viel zu wenige. Um zur Hagana zu gehören, musst du … na ja, du wirst es schon noch lernen.«
»Halten Sie mich für schwächlich? Meinen Sie, ich bin nicht tapfer?«
»Nein, das ist es nicht. Du bist ein Überlebender der Shoah und hast deine Tapferkeit bewiesen.«
»Haben wir wirklich so wenig Waffen, dass wir selbst welche herstellen müssen?«, fragte David, um das Thema zu wechseln.
»Du weißt ja, dass wir über einige britische und polnische Gewehre verfügen, aber niemand wollte uns bisher auch nur eine einzige Pistole verkaufen. Daher haben wir nach dem Krieg angefangen, insgeheim kleine Fabriken einzurichten, in denen wir Munition und Faustfeuerwaffen herstellen. Aber wir brauchen viel mehr, und so wird unser Kibbuz demnächst eine Werkstatt bekommen, in der wir dann alle arbeiten müssen.«
Saul hielt unvermittelt an und forderte David auf auszusteigen. In der Ferne zeichnete sich die Silhouette von Jerusalem im Schatten der Mittagssonne ab. Aus dieser Entfernung schien alles friedlich zu sein. Nach einigen Minuten, in denen keiner der beiden etwas sagte, erinnerte das Meckern einer Ziege sie daran, wo sie waren.
»Wir müssen weiter. Ich will nicht zu spät kommen.«
»Sie haben mir noch nicht gesagt, wohin wir fahren.«
»Das wirst du schon sehen.«
Er fuhr ein Stück weiter und bog kurz vor der Stadt in einen Feldweg ein, der sie zu einem umzäunten Grundstück führte, auf dem inmitten von Obstbäumen und Palmen ein einstöckiges gelbliches Gebäude stand.
Saul wartete vor dem Tor der Umzäunung. Schon bald erschienen zwei mit Gewehren bewaffnete Palästinenser mit einer Kuffiya auf dem Kopf, was Saul aber nicht zu beunruhigen schien. Sie sahen her und öffneten das Zufahrtstor. Einer lächelte.
Auf dem großen Gelände sah man noch weitere Bewaffnete. Hinter dem Haus erstreckte sich ein großer Obst- und Gemüsegarten, in dem Kinder laut lachend und rufend spielten. Ein Junge von höchstens zwölf oder dreizehn Jahren löste sich aus der Gruppe und kam winkend auf den Wagen zugerannt.
»Saul! Ich freu mich!«
»Hallo, Ibrahim. Rätst du, was ich mitgebracht habe?«
»Du hast an meinen Geburtstag gedacht?«
»Natürlich! Hier, pack aus und sag mir, ob es dir gefällt.«
Saul sprach Arabisch mit dem Jungen, und David war froh, dass er dank Hamsas Unterrichts im Großen und Ganzen mitbekam, worum es ging. Ihn verblüffte die Vertrautheit zwischen dem Palästinenserjungen und Saul ebenso wie der freundliche Empfang durch die bewaffneten Männer.
Eine westlich in Bluse und langen Rock gekleidete Frau von etwa Mitte dreißig trat auf die Schwelle. Sie hatte schwarze Augen und tiefschwarze lange Haare.
»Saul, wie schön! Du kommst gerade rechtzeitig zum Kaffee. Tee magst du ja nicht.«
Er fasste ihre beiden Hände, die er kräftig drückte, dann stellte er ihr seinen jungen Begleiter vor. »David Arnaud. Er stammt aus Frankreich und lebt schon eine ganze Weile bei uns.«
»Im Kibbuz?«
»Ja. Seine Mutter ist in Deutschland umgekommen.«
»Das tut mir sehr leid«, sagte sie und reichte ihm freundlich die Hand. »Es fällt einem schwer zu glauben, was da alles passiert ist…«
David wusste nicht, was er sagen sollte. Stumm erwiderte er ihr Lächeln.
»Kommt rein. Abdul spricht gerade mit einigen Männern, will dich aber gleich anschließend sehen. Er weiß, dass du da bist.«
Die Frau verschwand durch eine Tür und bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, im Vorraum zu warten. David war überrascht von der Eleganz, die im Inneren des Gebäudes herrschte. Bald darauf öffnete sich eine weitere Tür, und ein hochgewachsener Mann von dunkler Hautfarbe in Anzug und Krawatte breitete die Arme aus, um Saul zu begrüßen.
»Tritt ein, mein Freund. Ich habe gar nicht mit dir gerechnet. Ein wahres Glück, dass du gekommen bist, denn es sind gerade einige weitere gute Freunde da. So können wir miteinander über die Situation reden.«
David merkte, dass der Mann, den die Frau Abdul genannt hatte, eine besondere Ausstrahlung besaß. Mit eleganten Bewegungen wandte er sich an David und sprach ihn mit dem Akzent der Oberschicht auf Englisch an, bis ihm Saul mitteilte, er verstehe ein wenig Arabisch.
Sie traten in einen großen Salon, dessen Mitte von einem riesigen Tisch beherrscht wurde, um den herum eine Anzahl niedriger Sofas stand. Zehn Männer, die teils Kaffee,
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