Das Blut der Unschuldigen: Thriller
gibt.«
»Ich habe mich als Franzose gefühlt, ausschließlich als Franzose, bis meine Mutter verschwunden ist. Ich habe mich überhaupt
nicht als Jude gefühlt, und mir war nicht im Geringsten klar, was es bedeutet, einer zu sein.«
»Jetzt weißt du, was es bedeutet.«
»Unterscheiden wir uns denn so sehr von anderen Menschen, dass wir uns mit ihnen nicht verständigen können?«
Saul überlegte einen Augenblick, bevor er antwortete.
»Der Unterschied dürfte darin liegen, dass die meisten Juden hier aus den westlichen Ländern kommen. Eure Art, die Dinge zu sehen und anzupacken, ist westlich geprägt. Da liegt der Unterschied, der unüberbrückbar erscheint. Ich bin hier zur Welt gekommen wie alle meine Angehörigen, und so gehöre ich eher dem Orient an als dem Westen. Ich begreife die Ängste der Menschen hier und weiß daher auch, dass unausweichlich ist, was geschehen wird,«
»Sie haben aber versucht, Abdul zu überzeugen.«
»Abdul ist ein Scheich, den viele andere Scheichs hoch achten. Sie hören auf ihn. Er und ich geben uns keinen Täuschungen hin. Wir wissen, was an uns gut und böse ist, was wir lieben, und was wir verteidigen wollen. Seine Leute haben Nein gesagt, und er wird auf ihrer Seite stehen, auch wenn er überzeugt ist, dass sie Unrecht haben. Leben und Tod haben hier im Orient nicht denselben Stellenwert wie bei euch im Westen. Das verstehen die Menschen dort nicht, und du auch nicht.«
Sie erreichten einen befestigten Kibbuz am Rande der Wüste von Judäa. Bewaffnete patrouillierten unübersehbar auf dem Gelände.
Saul ließ David bei einer Gruppe von jungen Leuten zurück, während er an einer Sitzung von Hagana-Vertretern teilnahm. Die anderen führten David durch den Kibbuz, der deutlich
größer war als seiner, und fragten ihn, was seine Leute zu tun gedachten, wenn man sie angriffe. Viele von ihnen gehörten der Hagana an und machten sich Sorgen über das, was die Zukunft bringen werde.
Eine Stunde später holte Saul ihn wieder ab.
»Es ist eine Dummheit, nach Jerusalem zurückzufahren, aber Marwan und seine Frau würden es mir nicht verzeihen, wenn wir nicht kämen. Außerdem, wer weiß, wann ich je wieder im eigenen Haus werde schlafen können.«
Auch in jener Nacht fand David keinen Schlaf. Warum ihn Saul wohl mitgenommen hatte? Mit Sicherheit hatte er einen Grund dafür. Saul war kein Mann, der etwas Sinnloses tat.
22
Machmud sah aufmerksam zu, wie die drei Gruppen von je fünfzehn jungen Männern ihre Waffen bereit machten. Niemand wusste, wohin es gehen sollte. Er hatte ihnen lediglich mitgeteilt, dass sie vor Morgengrauen bereit zu sein hatten.
Hamsa dachte an David, den er in den vergangenen Tagen so gut wie nicht gesehen hatte. Sie waren einander aus dem Weg gegangen, hatten über den Zaun hinweg mit Zeichen ausgemacht, dass sie sich später treffen würden. Ob David etwas argwöhnte? Sogleich wies Hamsa diesen Gedanken von sich. Woher hätte er denn wissen sollen, dass sein Freund inzwischen einer Guerillagruppe angehörte?
In gewisser Hinsicht hatte es ihn überrascht, dass von David in den vergangenen Tagen nichts zu sehen gewesen war. Vielleicht ist unsere Freundschaft am Ende, weil wir einander nicht mehr trauen , ging es ihm durch den Kopf. Ich halte etwas vor ihm verborgen, und möglicherweise misstraut er mir oder verheimlicht mir selbst etwas .
»So ist es richtig. Mit einer ordentlich gereinigten Waffe schießt es sich gleich noch mal so gut«, unterbrach Machmud seine Gedanken. »Heute Nacht kannst du zeigen, was du gelernt hast und ob du etwas taugst.«
Ohne ihm zu antworten, sog Hamsa den Rauch seiner Zigarette tief ein. Inzwischen rauchte er unaufhörlich, obwohl ihm die Mutter Vorhaltungen machte. Der Vater gab sich verschlossen und war noch schweigsamer als sonst.
Er überlegte, warum Machmud das Ziel ihres Einsatzes für sich behalten mochte, und kam zu dem Ergebnis, dass er das wohl weniger aus Misstrauen tat, als um seine Macht zu demonstrieren.
Gegen vier Uhr morgens gab er seine Anweisungen.
»Echsan nimmt sich mit seinem Trupp das Dorf vor und Ali mit seinem die Lagergebäude. Du, Hamsa, greifst mit deinen Leuten den Kibbuz hinter eurem Grundstück an. Du warst ja gelegentlich schon auf dem Gelände und kennst dich da bestens aus. Schleicht euch unauffällig an. Sobald ihr die Sprengladungen gelegt habt, dringt ihr in die Häuser ein und erschießt alle. Anschließend jagt ihr die Ladungen in die Luft. Ich komme mit.«
»Im Kibbuz
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