Das Blut der Unschuldigen: Thriller
Wunder. Machmuds Kugeln hatten ihm nicht nur einen Lungenflügel zerfetzt und ein Schlüsselbein zerschmettert, eine war auch durch den Magen gedrungen und eine andere durch den Oberschenkel.
Mehrere Tage schwebte er zwischen Leben und Tod. Die Ärzte zeigten sich verblüfft von der Widerstandskraft seines Körpers.
Eine Sauerstoffmaske führte ihm Atemluft zu. Er konnte nicht sprechen, hatte nicht einmal die Kraft, die Augen aufzuschlagen. Einmal, als er sie geöffnet hatte, glaubte er Martine Dupont zu sehen, vielleicht auch Saul, doch er war sich seiner Sache nicht sicher.
Er hörte, wie die Ärzte sagten, dass sie an seinem Durchkommen zweifelten. Ihm war es gleich. Er dämmerte unter der Wirkung der Schmerzmittel vor sich hin. Als er wieder zu sich kam, sah er vor seinem inneren Auge Hamsa, der lächelnd mit gesenkter Waffe auf ihn zutrat. Ja, es war offenkundig, dass sein Freund nicht auf ihn hatte schießen wollen, während er
selbst keinen Moment gezögert hatte. Er sah ihn zu Boden sinken, nach wie vor das Lächeln auf dem Gesicht, als handelte es sich um ein Spiel.
Mit diesem Bild Hamsas konnte er nicht weiterleben. Jede Sekunde seines wachen Daseins würde er das lächelnde Gesicht und die Hand sehen, die die Pistole sinken ließ. In jenem entscheidenden Augenblick hatte sich Hamsa als tapfer und er als feige erwiesen. Dies Bild würde ihn wie ein Alptraum sein Leben lang verfolgen, doch er war nicht bereit, zeitlebens zu fliehen. Da war es schon besser zu sterben. Warum blieb sein Herz nicht einfach stehen?
So viel Mühe, ihn am Leben zu halten. Wozu? Falls er wieder auf die Beine käme, würde er es sich selbst nehmen.
»David, mein Sohn, hörst du mich?«
War das die Stimme seines Vaters? Er bemühte sich, die Augen zu öffnen, doch die Lider waren zu schwer. Es konnte nicht sein. Bestimmt war es wieder ein Traum. Ein weiterer Alptraum.
»Glauben Sie, dass er mich hört?«
»Das kann Ihnen niemand sagen«, gab der Arzt zur Antwort. »Es ist ein wahres Wunder, dass er noch lebt. Ich weiß nicht, wie es weitergeht, ob er sich je wieder wird bewegen können… Sein Herz hat bisher durchgehalten, es ist jung und kräftig. Er liegt nach wie vor im Koma. Wie lange dieser Zustand andauern wird, ist völlig unbestimmt …«
Auf einmal glaubte er auch die Stimme des Großvaters zu hören, der ihn aufforderte, die Augen zu öffnen und zu kämpfen.
»Gib nicht auf, David, wir sind bei dir. Du musst weiterleben.«
Hamsa lächelte ihm zu und zog ihn sacht an der Hand. Er
schien ihm nicht zu grollen. Er wollte mit dem Freund sprechen, ihn um Verzeihung bitten, doch Hamsa wollte nichts davon hören, zog ihn lediglich sacht, aber unwiderstehlich, an der Hand mit sich auf die Ewigkeit zu.
Arnaud merkte, dass die Hand seines Sohnes mit einem Mal eiskalt war. Er drückte sie kräftig und rief dann mit lauter Stimme nach der Krankenschwester.
Zwei Ärzte und mehrere Schwestern eilten herbei, während Arnaud lautlos Gott anflehte, ihn wenigstens dieses eine Mal nicht im Stich zu lassen.
Bevor einer der Ärzte den Mund auftun konnte, wusste Arnaud, was er hören würde.
Sie begruben David auf dem Gelände des Kibbuz nahe dem Zaun zum Garten von Hamsas Eltern. Arnaud merkte, wie ein Mann durch die Bäume zu ihnen hersah, und erkannte in dessen Augen den gleichen Schmerz, den er empfand.
Aber es gab nichts, was sie einander hätten sagen können, und sie wären nicht imstande gewesen, sich gegenseitig zu trösten.
Da trat ein Alter mit einer leeren Pfeife in der Hand auf ihn zu.
»Es gibt keine Worte, um einen Mann zu trösten, der einen Sohn verloren hat, aber Sie sollen wissen, dass sein Mörder tot ist.«
Dann wandte er sich um und ging. Reglos und ohne zu wissen, was er tun oder sagen könnte, hörte Arnaud zu, während ihm jemand eine Erklärung zuflüsterte.
»Er heißt Saul und ist Offizier der Hagana. Vergangene Nacht hat er Davids Tod gerächt. Er hat den Mann aufgespürt, der ihn niedergeschossen hat. Es war ein gewisser Machmud,
einer der Anführer der Guerilla. Saul hat ihn getötet und dabei das eigene Leben aufs Spiel gesetzt. Ganz allein hat er ihn in seinem Haus überrascht, wo er mit einigen seiner Männer zu Abend aß, und sie alle erschossen.«
»Was nützt mir sein Tod?«, fragte Arnaud.
»Auge um Auge, Zahn um Zahn, so lautet das Gesetz hier im Orient. Wer einen der Unseren tötet, muss wissen, dass er sich nirgends verstecken kann. Wir werden ihn finden und
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