Das Blut der Unschuldigen: Thriller
Wirklichkeit! Doña Blanca ist die eigentliche Herrscherin Frankreichs. Ohne sie wäre Ludwig, ihr Sohn, nichts. Sofern er sich barmherzig gezeigt hat, hat er damit lediglich den Rat seiner Mutter befolgt. Der ausschließliche Grund für ihren Wunsch, unser Land durch den Krieg nicht noch mehr verarmen zu lassen, ist in ihrer Gewissheit zu suchen, dass es schon bald vollständig der Krone gehören wird. Mit dem Fall von Montségur wird es untergehen.«
»Meint Ihr denn, Graf Raimond werde Montségur nicht zu Hilfe kommen?«
»Bestimmt nicht. Er wird uns unserem Schicksal überlassen. Wie du weißt, lebt deine Schwester Marian an seinem Hof, wo ihr Gatte, Bertrand d’Amis, ein wichtiges Amt bekleidet. Mitteilungen, die ich von ihr bekommen habe, zeigen deutlich, welches Geschick uns in Montségur erwartet. Beim Konzil von Béziers haben sämtliche Anhänger der Großen Hure beschlossen, alle, die auf Montségur leben, mit Stumpf und Stiel auszurotten, weil sich ihrer Überzeugung nach dort die Männer befinden, die den widerlichen Inquisitoren Étienne de Saint-Thibéry und Guilhém Arnold ein Ende bereitet haben. Mithin ist Montségur das letzte Bollwerk der Wahren Christen. Frieden wird es erst geben, wenn die Festung ein Raub der Flammen geworden ist.«
»Und das sagst du einfach so!«
»Dass ich Christin bin, bedeutet nicht, dass ich dumm wäre oder die Spielregeln der Politik nicht durchschaute. Ich bin Doña Blanca begegnet und kann dir versichern, dass ich aufrichtige Bewunderung für sie hege. Wenn mich das Schicksal an ihre Stelle gesetzt hätte, ich hätte ebenso gehandelt wie sie.«
»Aber nach der Ermordung der Inquisitoren in Avignonet haben die Menschen im Lande erneut zu den Waffen gegriffen …«, wagte Fernando einzuwenden. Er war sichtlich von der
politischen Lektion beeindruckt, die ihm seine Mutter unter so sonderbaren Umständen erteilt hatte.
»Das war nur ein Sturm im Wasserglas. Graf Raimond weiß, dass die Adelsfamilie Saint-Gilles erledigt ist, von Krone und Kirche zugrunde gerichtet. Mit diesem Beispiel vor Augen denkt er nicht daran, dem französischen König erneut die Stirn zu bieten. Vorher schon hatte Rotger Bernat de Foix den Stand der Dinge erkannt und Frieden mit dem König geschlossen. Ohne Rotger aber hat Raimond keine Aussicht auf Erfolg, und so bleibt ihm nichts anderes übrig, als es ihm gleichzutun. Da aber die Kirche niemandem verzeiht, wird Montségur für die Ermordung der Inquisitoren in Avignonet zahlen müssen, allein schon, damit nicht die Menschen aus der Umgebung der Versuchung erliegen, weiterhin Mönchen den Leib aufzuschlitzen. Das ist kurz gesagt der Hintergrund dafür, warum man beim Konzil in Béziers die Zerstörung von Montségur beschlossen hat.«
»Und wie wird es danach weitergehen?«, erkundigte sich Fernando mutlos.
»Die Troubadours werden den Ruhm unseres Opfers in die Lande tragen, und Juliáns Chronik wird dafür sorgen, dass unsere Enkel die Wahrheit erfahren. Sie sollen nie vergessen, dass Fanatismus und Gerissenheit einer Königin eine Monarchie erschaffen haben, der die Freiheit unseres Landes zum Opfer gefallen ist.«
»Holt Teresa. Ich bringe euch beide von hier fort«, flehte Fernando die Mutter verzweifelt an.
»Du weißt genau, dass ich das nicht tun werde. Hältst du so wenig von mir, dass du mich für fähig hältst, zu fliehen?«
»Meine Schwester ist noch ein Kind. Wollt Ihr sie zum Tode verurteilen?«
María de Aínsa stieß einen ungeduldigen Seufzer aus. Sie
spürte Fernandos Qual, begriff, dass er unter der Aussicht litt, Mutter und Schwester durch den Tod zu verlieren.
»Fernando, mein Sohn, beim Weizen wird das Korn von einer Hülle umschlossen, wir nennen sie Spreu. Unser irdischer Leib ist nichts als diese Spreu. Teresa wird nicht sterben, sondern lediglich…«
Er unterbrach sie aufgebracht, indem er ihr seine Hände entriss, ohne auf den Schmerz zu achten, der in ihre Augen trat. Beide litten gleichermaßen: Er litt darunter, dass er sich nicht mit seiner Mutter verständigen konnte, und sie machte sich Vorwürfe, weil es ihr nicht möglich war, sich ihrem Sohn verständlich zu machen.
»Mutter, sie hat es nicht verdient, auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Bringt Teresa her, oder ich gehe selbst hinauf, um sie da herauszuholen, und wenn es meinen Tod bedeutet.«
Ihr war klar, dass er bereit war, seine Ankündigung wahr zu machen. Aber sie wollte nicht mit ansehen müssen, wie er umkam; trotz ihrer
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