Das Blut der Unschuldigen: Thriller
natürliche Bastei. Der äußerst verehrungswürdige Herr Bischof von Albi« – der Gascogner wies mit dem Finger – »braucht sie, um dort seine Belagerungsmaschinen aufzustellen, weil die Festung von dort aus in Schussweite liegt. Er wird sie bekommen.«
»Und wo werdet Ihr aufsteigen?«
»Von Osten her. Es gibt keine andere Möglichkeit, dorthin zu gelangen, denn auf der Westseite würden wir den Verteidigern der Burg ein leichtes Ziel bieten.«
Dem Seneschall war bekannt, dass der Bergsporn im Osten nahezu lotrecht aufragte, weshalb selbst seine besten Leute dort hatten aufgeben müssen, doch wenn die Gascogner versicherten, dass sie diese Aufgabe meistern würden, blieb ihm nichts anderes übrig, als abzuwarten, ob ihnen ihr Vorhaben gelang.
»Und wann?«
»Noch heute Nacht. Allerdings sind wir darauf angewiesen, dass uns jemand durch die Felsklüfte an die entscheidende Stelle führt. Das ist auch der Grund, warum ich Euch um dieses Gespräch gebeten habe. Ich brauche eine gut gespickte Börse, um ihn für seine Dienste zu entlohnen.«
»Es gibt also einen Verräter unter den Irrgläubigen!«, rief der Erzbischof von Narbonne begeistert aus.
»Für Euch mag er ein Verräter sein«, gab der Gascogner zurück, »doch in Wahrheit ist er einfach ein Mensch wie ich. Er kennt die Gegend gut, und ihm ist nicht wichtig, zu wem und auf welche Weise er beten soll.«
Bei diesen Worten legte sich unbehagliches Schweigen über die Versammlung.
»Er will besser leben als bisher, nichts weiter«, fuhr der Gascogner mit herausforderndem Unterton fort. »Die Entscheidung liegt bei Euch. Die Verteidiger würden nicht im Traum auf den Gedanken verfallen, dass wir von jener Seite kommen könnten. Für jemanden, der in diesem Gelände nicht jeden Fußbreit Boden kennt, wäre dieses Unterfangen Selbstmord, und dem Mann, den ich gefunden habe, ist das ebenso klar wie mir und Euch.«
»Wer ist es?«, wollte der Seneschall wissen. »Schafft ihn her.«
»Unmöglich! Er wäre unter keinen Umständen bereit, mit Euch zu sprechen, denn er traut niemandem«, lachte der Gascogner. »Er ist mir verwandtschaftlich verbunden, würde sich aber nie mit Franzosen einlassen, denn von ihnen hält er nichts.«
Hugues des Arcis schnaubte aufgebracht angesichts dieser Unverschämtheit. Zwar hätte er den Gascogner unter der Folter zwingen können, den Namen des Verräters preiszugeben, doch würden sich in dem Fall dessen Gefährten weigern, am weiteren Verlauf der Unternehmung teilzunehmen. Er fasste einen Entschluss, den er aber einstweilen für sich behielt.
»Geht, ich werde Euch rufen lassen.«
Der Gascogner verließ das Zelt im Bewusstsein, dass dem mächtigen Seneschall von Carcassonne nichts anderes übrig bleiben würde, als seine Forderung zu erfüllen. Er kannte die hohen Herren gut genug, um zu wissen, dass er ihm einen Boten mit einer gut gefüllten Geldbörse schicken würde.
Mit vorwurfsvollem Schweigen sah Bruder Péire zu, wie Julián den von dem heilkundigen Templer zubereiteten Absud trank. Zwar wusste nach seiner festen Überzeugung der Leibmedikus
des Seneschalls weit mehr über Krankheiten als ein Tempelherr, der sein Leben mit dem Kampf gegen die Sarazenen jenseits des Meeres zugebracht hatte, doch konnte er nicht umhin, sich einzugestehen, dass es dem Mitbruder deutlich besser ging. Er litt nicht mehr unter den nächtlichen Krämpfen, die um sein Leben hatten fürchten lassen, und klagte auch nicht mehr fortwährend über Leibschmerzen. In seine eingefallenen Wangen war sogar ein wenig Farbe zurückgekehrt.
Nach einer Weile brach Julián sein Schweigen und erkundigte sich nach den im Lager umlaufenden Gerüchten, denn was das anging, war Bruder Péire stets auf dem Laufenden.
»Da gibt es nicht viel zu sagen, außer dass die Gascogner noch heute Nacht versuchen wollen, von Osten her das Hochplateau zu erreichen, von dem aus man sich dem hinteren Teil der Festung nähern kann. Allem Anschein nach gibt es in den Reihen der Ketzer einen Verräter, der bereit ist, die Männer auf einem geheimen Weg dort hinzuführen.«
»Einen Verräter? Das kann ich nicht glauben …«, murmelte der Dominikaner.
»Diese Leute sind weniger wert als Hunde und habgierig obendrein«, erklärte Bruder Péire.
Julián wollte ihm nicht widersprechen, doch fiel es ihm schwer, sich vorzustellen, dass es Verräter in den Reihen jener geben könnte, die unter so großen Entbehrungen auf Montségur ausharrten und auf ihren Tod
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