Das Blut der Unschuldigen: Thriller
umherrutschte, fuhr sie fort: »Sie ist noch jung, noch nicht mal dreißig. Kein Tag vergeht, ohne dass man Spuren von Schlägen in ihrem Gesicht sieht. Gestern hatte sie nicht nur ein blaues Auge, sondern auch einen gebrochenen Arm. Die Kinder sind völlig verängstigt, weil sie die Gewalttätigkeit ihres Vaters der Mutter gegenüber mitbekommen. Ich fürchte, dass
die Sache noch schlimmer werden kann. Sieh doch zu, ob du ihr helfen kannst.«
»Du weißt ja, dass es allein von ihr selbst abhängt, ob sie ihn anzeigen will oder nicht. Erst wenn sie sich dazu entschlossen hat, können wir sie in einem Frauenhaus unterbringen, bis die juristische Lage geklärt ist. Ich habe keine Möglichkeit etwas für sie tun, wenn sie das nicht selbst will.«
»Ich weiß, ich weiß … Aber hör dir einfach an, was sie zu sagen hat. Ein solcher Schritt ist für keine Frau einfach. Den eigenen Mann anzeigen zu müssen ist schrecklich, Aber sie so leiden zu sehen schneidet mir ins Herz, und die Vorstellung, dass sie bis zu ihrem Tod in dieser Hölle leben muss …«
»Ich tue, was ich kann.«
Jalil und Mohammed hörten dem Gespräch zwischen Salima und Laila schweigend zu. Es ärgerte Mohammed, dass der Alte nicht eingriff, um die beiden zur Ordnung zu rufen.
»Wie denkst du über die Misshandlung von Frauen durch ihre Männer?«, fragte ihn plötzlich Jalil.
»Meiner Ansicht nach hat niemand das Recht, sich in die Angelegenheiten eines Ehepaares einzumischen, noch dazu, wenn es darum geht, einer Frau zu raten, dass sie ihren eigenen Mann anzeigt. Im Koran heißt es, dass man seine Frau züchtigen soll, wenn sie sich falsch verhält. Es wäre mir sehr lieb, wenn sich meine Schwester aus den Privatangelegenheiten moslemischer Familien heraushalten würde.«
»Wie kommst du darauf, dass es sich um Moslems handelt?«, fragte Salima. »Damit du es genau weißt, die beiden sind Spanier, hier aus Granada, Christen.«
»Trotzdem glaube ich nicht, dass sich ein Außenstehender in ihre Angelegenheiten einmischen sollte. Wenn er sie schlägt, wird er seine Gründe dafür haben.«
»Findest du das etwa in Ordnung?«, wollte Jalil wissen.
»Selbstverständlich! Wir könnten ja mal im Heiligen Buch nachsehen.«
»Ich habe dich gefragt, ob du es in Ordnung findest, einen anderen Menschen zu misshandeln, ganz gleich aus welchem Grund«, beharrte der Alte.
»Es steht im Koran …«
»Lass doch mal den Koran beiseite, Mohammed! Die Menschen haben unaufhörlich im Namen des Korans und der Bibel Grausamkeiten verübt! Wir suchen in den heiligen Texten nach Vorwänden, um Dinge zu rechtfertigen, die sich nicht rechtfertigen lassen.«
Jalil al-Basari sprach energisch, aber zugleich voll Wärme. Er schien sogar ein spöttisches Lächeln auf den Lippen zu haben, was Mohammed zusätzlich ärgerte.
»Meine Schwester hat mir gesagt, dass Sie ein heiliger Mann sind, ein geachteter alim , und jetzt sehe ich einen Alten vor mir, der den heiligen Koran in Frage stellt.«
»Was veranlasst dich zu dieser Behauptung?«
»Ich bin nicht hergekommen, um mit Ihnen zu streiten. Ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft, aber jetzt müssen wir gehen«, erklärte Mohammed und sah zu Laila hinüber.
»Wovor willst du fliehen, Mohammed?«, fragte der Alte.
»Fliehen? Ich fliehe vor nichts!« In Mohammeds Stimme schwang Angst mit.
»Dann trink deinen Tee in Ruhe aus. Du brauchst dich nicht zu beeilen, um dich einem Gespräch mit einem Alten zu entziehen.«
Ergeben senkte Mohammed den Kopf. Der Mann brachte ihn völlig aus dem Konzept. Es kam ihm vor, als hätte er es mit einem verschlagenen Wolf zu tun, der nur darauf wartete,
seine Fangzähne in jeden zu schlagen, der unvorsichtig genug war, in seine Nähe zu kommen.
»Lassen wir mal den Koran beiseite und sprechen über Gut und Böse. Ich glaube nicht, dass irgendein Mensch das Recht hat, andere zu demütigen, zu quälen oder ihnen zu schaden, auf welche Weise auch immer. Bedauerlicherweise führen wir Menschen uns anderen gegenüber viel zu häufig wie wahre Raubtiere auf. Und warum? Weil sie nicht so denken wie wir, einen anderen Glauben haben, auf andere Weise oder gar nicht beten, anders leben, als wir es für richtig halten … Kurz, es gibt vieles, was uns an den anderen ärgert und uns ihnen fremd macht. Doch nichts von all dem kann eine Rechtfertigung dafür sein, dass wir Böses tun.
Nehmen wir an, du tötest, weil du eine Beleidigung durch deine Feinde rächen willst, oder du
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