Das Blut der Unschuldigen: Thriller
misshandelst deine Frau wegen eines Ungeschicks, oder du lügst, um dich vor anderen nicht herabgesetzt zu fühlen. All diese Handlungsweisen sind von Übel. Es ist unsere Pflicht, das Böse in uns zu beherrschen, unser Leben lang dagegen anzukämpfen und uns zu bemühen, dass wir uns nicht von den Dämonen leiten lassen. Wir sollten unsererseits die Dämonen besiegen.
Nein, Mohammed, es lässt sich nicht rechtfertigen, dass ein Mann seine Frau oder ein Kind misshandelt, nicht einmal einen Hund oder eine Blume. Glaubst du, dass sich Allah über dich freut, wenn du deine Frau verprügelst? Ich denke, er wird eher mit ihrer Qual Mitleid empfinden und Zorn über deinen Zorn.«
Der Alte schwieg und trank seinen Tee aus. Salima, die den Blick auf Mohammed und Laila gerichtet hielt, konnte in den Augen der Freundin die Verzweiflung erkennen, die sie erfasst hatte.
»Gleich kommen einige Freunde zum Abendgebet. Könnt ihr bleiben?«, fragte sie, um das eingetretene Schweigen zu brechen.
»Ich habe zu tun«, behauptete Mohammed.
»Ich bleibe noch eine Weile«, sagte Laila.
»Nein! Du kommst mit!«
»Ich habe gesagt, dass ich noch bleiben möchte. Ich höre Jalil gern zu und lerne jedes Mal etwas von ihm.«
»Mach dir keine Sorgen. Falls es spät wird, begleiten mein Mann und ich Laila nach Hause.«
»Sie muss jetzt mit mir kommen.«
»Nein, ich bleibe.«
Wut stieg in Mohammed auf, doch wollte er sich vor diesen sonderbaren Menschen nicht von ihr mitreißen lassen.
»Du musst mir gehorchen, Laila. Es ist besser, wir kehren gemeinsam zurück. Wenn du später kommst, müssen wir alle mit dem Abendessen auf dich warten.«
Dieser Vorwand erschien ihm selbst lächerlich, aber etwas Besseres war ihm zur Begründung der angeblichen Notwendigkeit von Lailas Rückkehr nicht eingefallen. Er war fest entschlossen, sie seinen Gürtel kosten zu lassen, weil sie ihn in diese Lage gebracht hatte. Wenn sie erst wieder zu Hause waren, würde er sie züchtigen, ohne sich von ihren Tränen und ihrem Leiden beeindrucken zu lassen.
»Mir wäre es lieb, wenn ihr beide bleiben könntet«, sagte Jalil. »Ich glaube, es würde dir guttun, mit uns zu beten.«
»Von mir aus …« Mohammed fiel keine neue Ausrede ein.
»Gut, ihr bleibt. Unsere Freunde können jeden Augenblick kommen.«
Es dauerte nicht lange, bis Carlos eintrat und mitteilte, dass sie da seien.
Salima und Laila halfen Jalil vorsichtig aufzustehen, woraufhin alle ins obere Stockwerk stiegen.
Erstaunt merkte Mohammed, dass seine Schwester jeden aus der Gruppe kannte, und es entsetzte ihn, auf wie selbstverständliche und in seinen Augen schamlose Weise sie mit den Männern umging. Am liebsten hätte er einigen der Frauen vorgehalten, dass sie kein Kopftuch trugen und sich wie Ungläubige kleideten, doch er schwieg lieber, weil er sich in dieser Gruppe verloren fühlte.
Man setzte sich auf Kissen, die um Jalil herum am Boden lagen, rechts die Frauen, links die Männer. Jalil nahm auf einem niedrigen Sessel Platz.
»Was haltet ihr davon, wenn wir uns heute einmal mit der Frage der Gewalttätigkeit beschäftigen?«, fragte er.
Als zustimmendes Murmeln ertönte, legte sich ein Lächeln auf seine Züge. »Bevor ihr gekommen seid, haben wir uns darüber unterhalten, ob ein Mann das Recht hat, seine Frau zu züchtigen. Unser Freund Mohammed glaubt, dass der heilige Koran uns Männern das Recht dazu einräumt.«
Ein Mann, der etwa im gleichen Alter wie Jalil zu sein schien, hob die Hand.
»Zweifellos kennt unser Freund Mohammed den Koran gut. So heißt es beispielsweise im 34. Vers der 4. Sure: ›Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie von Natur vor diesen ausgezeichnet hat…‹«
Dankbar sah Mohammed zu dem Mann hin, der da eine Koranstelle zitiert hatte, die keinen Zweifel daran ließ, dass ein Mann das Recht hatte, seine Frau zu züchtigen. Er war erleichtert zu sehen, dass sich in dieser sonderbaren Gruppe nicht alle aufführten wie die Ungläubigen.
»Gläubige Christen und gläubige Juden haben schon vor längerer
Zeit aufgehört, die Bibel nach dem Wortlaut auszulegen. Sie sehen in ihr ein von Gott inspiriertes heiliges Buch, sagen aber gleichzeitig, dass sich Gott damals, als er den Menschen eingab, dies Buch niederzuschreiben, danach richtete, wie die Welt zu jener Zeit war. Daher achten Christen wie Juden auf den Geist der Worte in ihrer heiligen Schrift statt auf deren Buchstaben, und das nicht etwa, weil sie schlechte Gläubige wären, sondern
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