Das Blut der Unschuldigen: Thriller
Albaicín zurück. In Mohammed tobten widerstreitende Gefühle. Einerseits hatte er sich unter jenen Menschen wohlgefühlt, doch hielt er sie zugleich für schlichte Gemüter, die darauf bedacht zu sein schienen, in jeder Zeile des Korans das Versprechen von Vergebung zu lesen.
Von allem, was sich nicht mit ihrem Wunsch nach Nachsicht und Barmherzigkeit vereinbaren ließ, schienen sie nicht das Geringste zu wissen.
Als die Geschwister zu Hause ankamen, sahen sie, dass die Mutter und Fatima besorgt im Wohnzimmer warteten. Sogleich eilte die Mutter auf Laila zu und seufzte erleichtert auf, als sie sah, dass dieser kein Leid geschehen war. Anschließend lächelte sie Mohammed zu und bat die beiden zu Tisch.
Laila entschuldigte sich mit dem Hinweis, dass sie müde sei und am nächsten Morgen früh aufstehen müsse, weil sie schon um acht Uhr ihre erste Unterrichtsstunde habe. Ohne weiter auf sie zu achten, ging Mohammed ins Esszimmer, wo Fatima bereits den Tisch gedeckt hatte.
Schweigend aß er allein, während ihn seine Frau mit gesenktem Kopf bediente.
Die Djellaba verhüllte ihren Körper, der ihn nicht im Geringsten reizte. Zwar hatte er das eine oder andere Mal mit ihr geschlafen, aber nur, damit sie sich nicht bei ihren Verwandten über Vernachlässigung beklagen konnte – eine solche Kränkung würde ihm Hassan nicht verzeihen.
Hoffentlich würde sie bald schwanger, dann hätte er einen Vorwand, sich eine Weile von ihr fernzuhalten. Doch bisher wies nichts darauf hin.
Als er beim Nachtisch war, kam seine Mutter herein und setzte sich ihm gegenüber. »Dein Freund Ali hat nach dir gefragt.«
»Was wollte er?«
»Er hat gesagt, dass er morgen wiederkommt. Er gefällt mir nicht.«
»Soweit ich weiß, bist du mit seiner Mutter befreundet oder warst es zumindest, als wir noch in die Schule gegangen sind.«
»Sie ist bedauerlicherweise nicht mehr hier. Mir geht es aber nicht um seine Familie, sondern um dich, und ich möchte nicht, dass du dich in Schwierigkeiten bringst. In Alis Gesellschaft wirst du ein schlimmes Ende nehmen.«
»Wieso das?«
»Er hat mit gefährlichen Menschen Umgang, die nicht so sind wie wir.«
»Und wie sind wir?«
»Du hast dich verändert, mein Junge. Ich weiß nicht, was man in Frankfurt und Pakistan mit dir gemacht hat, aber du bist nicht mehr wie früher.«
»Ich bin ein Mann, Mutter.«
»Ja, ein Mann, von dem ich fürchte, dass andere über ihn bestimmen, als wäre er ein kleines Kind.«
»Wer soll über mich bestimmen?«, fragte er, wobei in seinen Augen mühsam unterdrückter Zorn blitzte. »Ich bin ein Mann, Mutter. Ein Mann mit Familie und dem Wunsch, aus dieser Welt etwas Besseres zu machen, einen Ort, an dem wir Moslems nicht Bürger zweiter Klasse sind, wo man uns Achtung entgegenbringt. Wir müssen die Ungläubigen züchtigen, und das werden wir tun. Gott wird uns dafür belohnen.«
»Und wer sagt, dass wir jemanden züchtigen müssen? Warum können wir nicht in Frieden miteinander leben? Die Erde gehört allen. Sie bietet allen Platz, und wir sollten zulassen, dass jeder so zu Gott betet, wie man es ihm als Kind beigebracht hat.«
»Wie kannst du nur so reden?«
»Weil ich alt bin und um mich herum zu viel Leid gesehen habe.«
»Niemand wird dir etwas antun, Mutter, verlass dich auf mich.«
»Ich habe nicht um mich Angst, sondern um dich. Halt dich von Ali fern.«
»Wieso machst du dir wegen Ali Sorgen?«
»Er verkehrt mit den schlimmsten unserer Leute, mit Männern, die Hass säen. Er ist in ihren Händen wie eine Marionette, und genau das möchten sie auch mit dir tun. Sie werden dir sagen, dass du ein Mudschahed bist und einen heiligen Auftrag zu erfüllen hast. Das aber ist gelogen. Sie wollen lediglich, dass du für sie stirbst.«
»Jede andere Mutter wäre stolz auf einen Sohn, der als Märtyrer stirbt.«
»Mir genügt es, wenn du lebst. Mehr verlange ich nicht.«
»Du redest nicht wie eine gute Moslemin! Merkst du nicht, was auf der Welt vor sich geht?«
»Doch. Ich merke, dass es Menschen gibt, die nichts anderes im Sinn haben, als andere zu vernichten. Aber sie stellen sich nicht in die vorderste Schlachtreihe, sondern schicken euch vor, unsere Söhne. Sie umwerben euch mit Worten, die euch das Herz füllen, aber ich schwöre dir, ich weiß keinen Grund, warum ihr sterben solltet.«
Mohammed sprang wütend auf und rannte hinaus. Er wollte nicht mit seiner Mutter streiten. Was verstand sie schon von diesen Dingen? Sie war eine unwissende Frau,
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