Das Blut der Unschuldigen: Thriller
hätte man glauben können, er sei dort zu Hause.
Sie flüsterte ihm zu, dass der Bau sie beeindrucke, und fragte ihn nach den Reliquien. Wortlos führte er sie eine Treppe hinab in einen kleinen kryptaartigen Raum. Dort erläuterte er: »Hier befinden sich Splitter des Kreuzes, an das man Christus geschlagen hat, zwei Dornen aus der Krone, die man ihm aufgesetzt hat, und ein Stück von dem Schwamm, mit dem man ihn getränkt hat. Außerdem das Querholz des Kreuzes …«
Mit leisem Lachen sagte sie: »Du glaubst doch nicht etwa, dass das alles echt ist? Woher sollen die Dornen kommen?«
»Schweig und staune. Außerdem befindet sich hier einer der dreißig Silberlinge, mit denen man Judas für seinen Verrat an Jesus bezahlt hat, sowie der Finger, den der ungläubige Thomas in die Wunde des Propheten gelegt hat. Unter dem Fußboden hat man etwas Erde vom Hügel Golgatha eingegraben.«
»Das ist doch lachhaft! Ein Ammenmärchen. Niemand kann bei klarem Verstand glauben, dass auch nur ein einziger dieser Gegenstände echt ist. Dir brauche ich ja wohl nicht zu sagen, was für einen schwunghaften Handel mit Reliquien es im Lauf der Jahrhunderte gegeben hat. Und um mir das zu zeigen, sind wir hergekommen? Ich verstehe dich nicht. Meinst du etwa, dass mir Reliquien etwas bedeuten? Als ob du nicht genau wüsstest, dass ich Atheistin bin.«
»Sag so etwas nicht!«, mahnte er und legte ihr einen Finger auf die Lippen, als könnte er sie auf diese Weise zum Schweigen bringen.
»Schön, nicht gerade Atheistin, aber jedenfalls bin ich schon vor Jahren aus der Kirche ausgetreten.«
Sie kehrten nach oben zurück, ohne dass sie wagte, das Schweigen zwischen ihnen zu brechen. Als sie wieder auf die Straße hinaustraten, begann es dunkel zu werden.
Er hatte ihre Hand losgelassen, und als sie zu ihm hinsah, zeigte ihr sein Gesichtsausdruck, dass er mit seinen Gedanken weit fort war. Auf ihre Fragen gab er nur einsilbige Antworten.
Gern hätte sie den Grund für sein plötzliches Verstummen gewusst. Es kam ihr so vor, als hätte der Besuch jener Basilika sie voneinander entfremdet, ohne dass sie hätte sagen können, woran das lag.
In der Nähe des Hotels angekommen, forderte er sie auf, als Erste hineinzugehen.
»Ich komme dann zu dir nach oben«, sagte sie.
»Bitte nicht. Wenn es dir recht ist, möchte ich heute Abend lieber allein bleiben.«
»Warum denn das?«, rief sie aus. »Was ist los? Was habe ich denn getan?«
»Beruhige dich und schrei vor allem nicht. Die Leute sehen schon her. Ich muss allein sein, nichts weiter. Wir sehen uns morgen.«
»Und dafür hast du mich nach Rom kommen lassen? Bitte sag mir, was los ist.«
»Du darfst mir deine Gegenwart nicht aufdrängen. Ich habe dir ja schon gesagt, dass ich heute allein sein möchte. Morgen reden wir dann darüber.«
Sie fasste ihn am Arm, doch er riss sich los und ging in Richtung auf das Hotel, während sie mit Tränen in den Augen auf der Straße stehen blieb.
Er suchte sein Zimmer auf, fest überzeugt, dass sie seine Aufforderung nicht befolgen und eher früher als später vor seiner Tür auftauchen und ihn bitten werde, hereinkommen zu dürfen. Er kannte sie in- und auswendig, wusste, dass sie ihm hörig war und tun würde, was auch immer er von ihr verlangte. Doch was er diesmal von ihr erwartete, bedurfte einer gewissen strategischen Vorbereitung.
Zwei Stunden später hörte er, wie schüchtern an seine Tür geklopft wurde. Er öffnete im Bewusstsein, dass sie davorstehen würde.
Ihre Augen waren gerötet, und ihr Gesicht zeigte den Ausdruck unendlicher Seelenqual. Sie wirkte verloren, zerbrechlich und verstört.
Schweigend musterte er sie mit gleichgültigem Blick, schloss aber die Tür nicht.
»Lass mich bitte herein«, bat sie.
»Warum kannst du nicht hinnehmen, dass ich allein sein möchte?«, fragte er mit leiser Stimme.
Sie schlug die Hände vor das Gesicht und brach in Tränen aus.
»Willst du, dass uns alle Leute sehen?«
»Lass mich bitte rein. Ich muss das begreifen …«
Während er ihr den Rücken zukehrte, kam sie wie ein geprügelter Hund ins Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.
»Sag mir doch um Himmels willen, womit ich dich so aufgebracht habe.«
Er setzte sich auf die Bettkante. Der kalte Blick, mit dem er sie musterte, ließ sie innerlich erschauern. »Salim, ich bitte dich …« Sie hatte sich auf die Knie geworfen und wollte seine Beine umschlingen, doch er stieß sie zurück.
Während sie in Schluchzen
Weitere Kostenlose Bücher