Das Blut der Unschuldigen: Thriller
hat die Tochter nicht zu einem Sinneswandel bewegen können. Im Bericht finden Sie die Mitschrift eines Telefonats, das sie mit ihrem eigenen Anwalt geführt hat und in dem sie den eigenen Vater als ›Nazischwein‹ tituliert. Sie hat gesagt, beim bloßen Gedanken an ihn werde ihr schon übel.«
»Mit wem hat er noch gesprochen?«, erkundigte sich Hans Wein.
»Außer seinem Anwalt mit niemandem. Er hat einige Male in der Burg angerufen, aber das wissen Sie ja bereits, weil Ihnen die Mitschriften vorliegen.«
»Ja. Ganz normale Routinegespräche, in denen er sich erkundigt, wer angerufen hat und dergleichen«, gab Wein zurück.
»Im Laufe des heutigen Vormittags wird er mit leeren Händen nach Paris zurückfliegen. Die Flugnummer steht im Bericht. Er hat nichts erreicht.«
»Schön. Ich werde veranlassen, dass sich unsere Leute in Paris gleich vom Flughafen aus an seine Fersen heften. Dann wird man ja sehen, ob er den Jugoslawen trifft …«, erklärte Wein munter.
»Ich nehme an, Sie haben bereits in Rom darum nachgesucht, dass man diesen al-Bashir im Auge behält?«, erkundigte sich Lucas.
»Ich habe den Auftrag gerade widerrufen«, gab Panetta mit unverhülltem Groll zurück. »Der Chef erlaubt es nicht.«
»Und warum nicht?«
»Ganz einfach: weil es sich bei dem Mann um einen britischen Staatsangehörigen mit untadeligem Ruf handelt«, gab ihm Hans Wein zu bedenken. »So jemanden dürfen wir nicht einfach mir nichts, dir nichts überwachen lassen, nur weil er mit dem Grafen telefoniert hat. Überlegen Sie doch nur, wer ihn allein in den letzten beiden Tagen angerufen hat: ein Notar aus Carcassonne, der Herausgeber einer Lokalzeitung, sein Bankier aus Paris, ein weithin bekannter südfranzösischer Unternehmer … Das sind lauter ganz normale Leute. Wir dürften uns nicht verrückt machen lassen und jeden verdächtigen, der mit dem Grafen zu tun hat. Professor al-Bashir ist Kreuzzugsspezialist, und der Graf nimmt als Leiter einer Stiftung zum Gedenken an die Katharer an Kongressen über die Kreuzzüge teil, insbesondere den gegen die Katharer. Stellen Sie sich einmal vor, wir würden jetzt anfangen, allen Wissenschaftlern und Fachleuten auf die Finger zu sehen, die mit ihm
in diesem Zusammenhang Kontakte gepflegt haben oder pflegen …«
»Es könnte bestimmt nichts schaden, sich diesen al-Bashir einmal näher anzusehen«, beharrte Lucas.
»Tut mir leid, aber ich glaube, da sind Sie voreingenommen. Würden Sie das auch wollen, wenn er Amerikaner wäre?«, gab Hans Wein zurück.
Gekränkt knurrte Lucas: »Hoffentlich begehen Sie damit keinen Fehler. Falls was passiert, liegt die Verantwortung bei Ihnen. Wenn Sie der Ansicht sind, dass Voreingenommenheit meine Urteilskraft trübt, können Sie ja meine Dienststelle bitten, mich hier abzulösen.«
»Sie stehen mit Ihrer Einschätzung keineswegs allein«, kam ihm Panetta zu Hilfe. »Auch ich halte es für einen Fehler, al-Bashir nicht zu überwachen.«
Der Direktor des Zentrums zur Terrorismusabwehr sah seine beiden Mitarbeiter nachdenklich an.
»Ich wollte Sie nicht kränken«, sagte er zu Lucas. »Vielleicht sollten wir uns mit dem Auslandsgeheimdienst der Engländer in Verbindung setzen. Die können dann selbst entscheiden, was sie mit dem Untertan Ihrer Majestät der Königin anfangen wollen. Zuvor aber will ich noch mit unseren übergeordneten Stellen sprechen. Deshalb werden wir nichts unternehmen, solange wir keine Genehmigung haben. Mit den Briten rede ich selbst. Sie beide müssen eben noch eine Weile warten.«
In denkbar schlechter Laune verließen Lucas und Panetta das Büro. Sie waren überzeugt, dass die Fährte von al-Bashir an Orte führen könnte, an die sie kaum zu denken wagten, und man wertvolle Zeit vergeudete, wenn man ihr nicht folgte.
»Wissen Sie, was wir tun sollten?«, fragte Lucas.
»Vorsichtig mit politisch inkorrekten Gedanken!«, warnte der Italiener.
»Man müsste einen Kontakt in der Burg haben. Vielleicht lässt sich jemand aus der Dienerschaft bestechen.«
»Soweit ich weiß, versuchen auch die Leute in Paris, Informationen aus der unmittelbaren Umgebung des Grafen zu bekommen. Offenbar bezahlt der seine Leute aber sehr gut: Keiner will was sagen, und sonderbarerweise sind auch die Bewohner der Umgebung nicht besonders gesprächig. Sie sehen in dem Mann eine Art höheres Wesen. Da die d’Amis’ die Bevölkerung schon von altersher beschützt haben, würden sie es wohl für einen Treuebruch halten, etwas über den
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