Das Blut der Unschuldigen: Thriller
schien nicht im Mindesten überrascht zu sein. Ihn verblüffte, dass sie es einfach so hinnahm.
»Das Beamtendasein hat Vor- und Nachteile. Dazu gehört auch, dass man gelegentlich versetzt wird.«
»Bitte ersparen Sie sich und mir alberne Erklärungen. Der Chef wollte mich loswerden, und das hat er geschafft. Danke für den Kaffee.«
Sie stand auf, doch Panetta bat sie, noch zu bleiben, ohne selbst so recht zu wissen, warum.
»Haben Sie mir noch etwas mitzuteilen?«
»Ich kenne Sie gar nicht wieder.«
»Sie kennen mich überhaupt nicht.«
»Das ist wahr. Trotzdem war ich bisher der Ansicht, dass Sie nicht zu den Menschen gehören, die vor Selbstmitleid zerfließen.«
»Soll ich mich etwa auch noch bei Ihnen bedanken? Ich weiß, dass ich eine gute Analytikerin bin und gute Arbeit leisten kann, und das nicht nur in einem Büro. Aber niemand hat sich die Mühe gemacht, mich auf die Probe zu stellen. Die Abteilung bildet eine geschlossene Clique und hat mich von Anfang an als Störenfried betrachtet.«
»Setzen Sie sich doch bitte wieder.«
Sie zögerte kurz, folgte dann aber seiner Aufforderung und sah ihn erwartungsvoll an. Auch er zögerte, allerdings aus einem Grund, auf den sie nie im Leben verfallen wäre.
Sie sprachen eine volle Stunde lang miteinander. Anfangs redete Panetta, und sie hörte zu, danach ging es umgekehrt weiter. Als sie ins Büro zurückkehrten, konnte er seine Besorgnis nicht verhehlen, und sie war womöglich noch angespannter als vor dem Gespräch mit ihm.
»Heute Mittag musst du mit dem Priester essen gehen«, kündigte ihm Hans Wein an, ohne sich nach dem Verlauf des Gesprächs mit Mireille zu erkundigen. »Nimm Lucas mit. Ihr
könnt dem Mann alles sagen, was es Neues gibt. Wenn man es recht bedenkt, haben wir ihm allerdings so gut wie nichts anzubieten.«
Zerstreut stimmte Panetta zu und suchte den Amerikaner, der in eine Unterhaltung mit Andrea Villasante vertieft war.
»Ich würde gern mit Ihnen reden.«
»Klar, jederzeit. Was gibt es denn?«
Panetta gab keine Antwort.
30
Nach seiner Rückkehr auf die Burg hatte sich Raymond de la Pallissière in schweigende Teilnahmslosigkeit geflüchtet. Sein treuer Butler Edward wachte über ihn und sorgte dafür, dass ihn niemand belästigte.
Schon seit längerem verbrachte der Graf ganze Tage tief in Gedanken versunken in seiner Bibliothek. Erfolglos hatten die Mitglieder der Stiftung »Katharergedächtnis« versucht, zu ihm vorzudringen, und auch auf die Bemühungen anderer, mit ihm in Verbindung zu treten, hatte er nicht reagiert. Doch als er den unverwechselbaren Klingelton des Mobiltelefons hörte, das er ständig bei sich trug und dessen SIM-Karte er nie auswechselte, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich verdrießlich zu melden.
»Ja?«
»Das Material ist bereit. Ich nehme an, dass es am vereinbarten
Ort übergeben werden soll, und hoffe, dass es diesmal nicht wieder zu Verzögerungen kommt.«
Die schneidende Stimme des Jugoslawen riss ihn in die Wirklichkeit zurück.
»Ja, alles wird ablaufen wie vorgesehen.«
»Gut. Sie wissen ja, dass zuvor das Vereinbarte geleistet werden muss.«
»Wir waren so verblieben, dass ich das Material zuerst sehe.«
»Es ist erstklassige Ware, und das Risiko bei der Übergabe ist hoch. Daher ist uns eine Vorauszahlung lieber.«
»Einen Teil haben Sie bereits bekommen.«
»Und jetzt wollen wir den Rest.«
»Nein, erst wenn das Material an Ort und Stelle ist. Ich schicke Ihnen einen Teil des Geldes, aber nicht alles.«
»Und was ist mit den Dokumenten?«
»In drei oder vier Tagen habe ich in Paris zu tun. Ich rufe Sie an.«
»Gut. Es wird aber Zeit, die Sache abzuschließen. Wir haben unseren Teil erledigt.«
»Das werden wir bei der Übergabe sehen.«
Er erwog kurz, Ylena anzurufen, die sicher schon vor Ungeduld verging, entschied sich dann aber, das erst am folgenden Tag vom Crillon aus zu tun. Auch mit dem Koordinator musste er sprechen. Dazu aber würde er das andere Telefon mit einer frischen SIM-Karte bestücken und vor allem von einem anderen Ort aus anrufen. Er durfte sich keinen Fehler leisten, denn ihm war klar, dass ihn das den Kopf kosten konnte – der Koordinator würde nicht zögern, ihn umbringen zu lassen.
Er hielt das Telefon noch in der Hand, als der Butler mit besorgter Miene eintrat.
»Bitte entschuldigen Sie die Störung, aber Ihr New Yorker Anwalt ist am Apparat. Für den Fall, dass Sie nicht mit ihm sprechen wollen, habe ich mir erlaubt, ihm zu sagen,
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