Das Blut der Unschuldigen: Thriller
dass Sie sich in einer Sitzung befinden.«
Dem Grafen lief der kalte Schweiß über den Rücken. Dass der New Yorker Anwalt von sich aus anrief, konnte nur schlechte Nachrichten bedeuten. Als ob es noch schlimmer kommen könnte, als es war! Nie würde er die Demütigung durch seine Tochter vergessen, die sich nicht nur geweigert hatte, ihn zu sehen, sondern ihm auch hatte ausrichten lassen, sie werde nie mit ihm sprechen, weil sie schon bei dem bloßen Gedanken Ekel empfinde, dass ihr Vater Nazi war.
Er dankte dem Butler und suchte sein Büro auf. Mit zitternden Händen nahm er den Hörer ab.
»Guten Tag, Mr. Smith.«
»Guten Tag, Graf d’Amis. Ich habe Nachrichten von Ihrer Tochter.«
Erneut überlief ihn ein Schauer. Sobald es um Catherine ging, waren seine Nerven so straff gespannt wie Violinsaiten.
»Vorhin hat mich deren Anwalt angerufen und mir mitgeteilt, dass sie in wenigen Tagen nach Frankreich reisen wird.«
Verblüfft schwieg Raymond.
»Hören Sie mich?«, fragte der Anwalt.
»Selbstverständlich.«
»Es scheint eine sentimentale Reise zu sein, denn sie sagt, sie wolle die Orte aufsuchen, an denen ihre Mutter einst gelebt hat, unter anderem auch die Burg. Sie lässt anfragen, ob das möglich sei. Zugleich hat mir ihr Anwalt klargemacht, dass dieser Besuch eine reine Besichtigung sein soll und auf keinen Fall als Versuch einer Versöhnung aufgefasst werden dürfe.«
»Meine Tochter kann selbstverständlich kommen, wann immer
es ihr beliebt. Die Burg steht ihr offen – sie wird ihr eines Tages ohnehin gehören. Möchte sie mich sehen?«
»Den Worten ihres Anwaltes nach ist sie dazu bereit, hat aber zugleich betont, dass sich mit Bezug auf ihre Haltung Ihnen gegenüber nichts geändert habe.«
»Wann kommt sie?«
»Es heißt, dass sie übermorgen in Paris landen, aber nicht sogleich weiterreisen wird. Ich hoffe, dass alles gut abläuft…«
»Danke, Mr. Smith. Auf Wiederhören.«
Der Anwalt legte auf und sah nervös auf den Mann ihm gegenüber, der ihn aufmerksam beobachtet hatte und dem kein Wort des Gesprächs entgangen war.
Raymond wusste nicht, was er denken sollte. Er hätte sich gern gefreut, doch wollte sich das Gefühl nicht einstellen. Obwohl er sich in seiner Burg sicher fühlte, fürchtete er die Begegnung mit seiner Tochter.
Er sehnte sich danach, sie zu sehen, die bisher für ihn nichts als ein Traumbild gewesen war. Er wusste nicht, wie sie aussah, kannte nicht einmal die Farbe ihrer Augen oder ihres Haares. Ob sie ihrer Mutter ähnlich sah oder ihm?
Dass sie ausgerechnet jetzt kam, zu der Zeit, da der Plan in seine Endphase eintrat! Er musste noch einmal nach Paris und dort mit Ylena zusammentreffen. Außerdem konnte er den Anruf bei dem geheimnisvollen Koordinator nicht länger aufschieben, der die Fäden nicht nur seines Geschicks, sondern auch so vieler anderer zog, als wären sie alle bloße Marionetten. Aber nein, ganz so verhielt es sich nicht. Auch er selbst bediente sich dieses Mannes, der es ihm ermöglichte, die Rache zu vollbringen, was seinem Vater nicht gegönnt gewesen war. Ja, er, der dreiundzwanzigste Graf d’Amis, würde das Blut der Unschuldigen rächen, indem er seinerseits Blut vergoss, und zwar
das ihrer Henker, wenn auch viele hundert Jahre später. Nie hatte die Kirche um Verzeihung für ihren verfluchten Kreuzzug gegen die Katharer gebeten.
Er suchte al-Bashirs Telefonnummer heraus. Noch einmal wollte er sich mit ihm treffen, um gemeinsam mit ihm den Zeitpunkt festzulegen, an dem sie das Blut von Christen vergießen würden. Da al-Bashir gerade in London an einer Abendveranstaltung teilnahm, bei der Intellektuelle über ein Bündnis zwischen den Kulturen diskutierten, fiel der Anruf kurz aus. In harmlos klingenden Worten vereinbarten sie, am Wochenende in Paris zusammenzutreffen. Dort würden sie an der Place des Vosges im Restaurant L’Ambroisie zu Mittag essen. Die Entenstopfleber dort war eines der Lieblingsgerichte al-Bashirs.
Hans Wein las den Bericht über die letzten Telefonate des Grafen. Obwohl er nicht annähernd so aufgeregt reagierte wie Panetta und Lucas, musste er einräumen, dass der Fall weit weniger übersichtlich zu sein schien, als er bisher angenommen hatte.
»Bist du jetzt bereit, die Telefone dieses al-Bashir abhören zu lassen?«, fragte Panetta.
»Unsere britischen Kollegen, die ebenfalls im Besitz dieser Information sind, würden es für skandalös halten, einen Mann überwachen zu lassen, der mit drei Ministern
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