Das Blut der Unschuldigen: Thriller
es sogar Augenblicke, in denen er sie entspannt und lächelnd erlebte.
Er hatte ihr jeden Winkel der Burg gezeigt, und sie hatten gemeinsam die Umgebung erkundet, doch der große Ausflug des heutigen Tages sollte sie nach Montségur führen.
Unaufhörlich stellte sie ihm Fragen nach seiner Stiftung. Mit einem Mal schien sie sich für die Vergangenheit zu interessieren und erklärte sich sogar begeistert von Bruder Juliáns Chronik, obwohl sie der Bitte des Vaters, sie zu lesen, anfangs nur widerwillig nachgekommen war. Diese Lektüre, hatte er ihr erklärt, sei nötig, damit sie die Geschichte ihrer Familie verstehen könne.
In diesem Augenblick aber dachte er an den Koordinator. Er
hatte mehrfach vergeblich versucht, ihn anzurufen, und ihn beunruhigte, dass er den Mann nicht erreichte. Auch den Jugoslawen hatte er anrufen wollen, um sich zu vergewissern, dass Ylena das Material wie vereinbart bekommen hatte, und bei diesem Anruf hatte er ebenfalls kein Glück gehabt. Niemand hatte sich gemeldet.
»Du hörst mir ja gar nicht zu. Du bist abgelenkt.«
»Entschuldigung, was hast du gesagt?«
»Ich hatte dich nach dem Professor gefragt, der die Geschichte dieses Dominikanermönchs, Bruder Julián, aufgeschrieben hat.«
»Arnaud? Mein Vater hatte ihn mit dieser Aufgabe betraut, weil er einer der besten Mediävisten Frankreichs war. Unglücklicherweise war die Beziehung mit dem Mann nicht einfach. Er war mit einer Jüdin verheiratet, die eines Tages verschwunden ist, und darüber hat er den Verstand verloren.«
»Sie ist verschwunden? Wieso?«
»Das weiß ich nicht. Ich glaube, sie ist von einer Reise nicht zurückgekehrt. Er ist, wie es scheint, nicht darüber hinweggekommen, dass sie ihn verlassen hatte, und im Umgang schwierig geworden. Mein Vater wollte, dass er mit einer Gruppe von Forschern und Studenten zusammenarbeitete, die nicht nur aus Franzosen bestand, aber er hat sich immer dagegen gesträubt. Das Einzige, was ihn interessiert hat, war die Chronik jenen Dominikaners.«
»Und was hätte ihn sonst interessieren sollen?«
»Mein Kind, ich habe dir bereits erklärt, dass die Katharer ein Geheimnis bewahrt haben, das bis auf den heutigen Tag nicht enthüllt worden ist. Dabei geht es um den Gral.«
»Ich bitte dich, das sind doch Ammenmärchen!«, gab sie verärgert zurück.
»Das glaubst du. Aber irgendwo gibt es einen Gegenstand, der seinem Besitzer so außergewöhnliche Macht verleiht, dass er, kurz gesagt, der mächtigste Mensch auf der ganzen Welt wäre.«
Catherine lachte laut heraus, aber er ärgerte sich nicht darüber. Es war ihm klar, dass es keinen Sinn hatte, sie von der Existenz dieses Gegenstandes zu überzeugen. Ebensowenig glaubte sie an den Katharerschatz.
Es war kalt, und d’Amis zitterte leicht, als sie aus dem Wagen stiegen. Der Ausflug schien Catherine zu begeistern. Erstaunt sah sie, dass am Fuß des Felssporns Touristen aufmerksam den Erläuterungen eines Reiseleiters folgten. »Der französische Name Montségur bedeutet so viel wie ›Berg der Sicherheit‹. In der Tat hat die Festung länger standgehalten, als es der Papst und der König von Frankreich für möglich gehalten hatten.«
»Kommst du mit?«, fragte sie d’Amis. Ihn schien die Vorstellung, zur Hochfläche des Felssporns emporzusteigen, den er wie seine Westentasche kannte, nicht besonders zu begeistern.
»Ich begleite dich einen Teil des Weges.«
Es freute ihn zu sehen, wie sie hierhin und dorthin eilte, sich an der Stelle entsetzte, die man »Feld der Verbrannten« nennt, und sich von ihm neben der Stele fotografieren ließ, die man dort zum Gedenken an die dort getöteten Unglückseligen errichtet hatte.
Als sie nach zwei Stunden erklärte, sie habe genug gesehen, fiel ein feiner Nieselregen.
»Ich habe gehört, wie der Reiseleiter gesagt hat, das hier sei gar nicht die eigentliche Katharerburg, weil man hier im 14. Jahrhundert eine neue Festung erbaut hat.«
»Es existieren noch Überreste von der früheren Anlage:
das Untergeschoss und ein Teil der in den gewachsenen Fels gehauenen Wände.«
»Ich musste immer an deine Vorfahrin Doña María denken.«
»Es ist auch deine Vorfahrin, Catherine.«
»Du musst verstehen, dass all das meiner Welt sehr fern ist. Die Frau muss wirklich äußerst bemerkenswert gewesen sein.«
»Ich glaube, dass du etwas von ihr geerbt hast«, gab er mit einem Lächeln zurück.
»Warum sagst du das? Ich bin nicht einmal gläubig und schon gar keine Fanatikerin wie
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