Das Blut der Unschuldigen: Thriller
es keinen Besseren gebe als Sie«, sagte der Anwalt mit säuerlicher Miene.
»Vielen Dank, aber es gibt noch einige Kollegen, die auf diesem Gebiet ebenso tüchtig sind wie ich, wenn nicht tüchtiger.«
»Ich mag bescheidene Menschen nicht«, erklärte der Graf.
»Das bin ich nicht, aber ich bilde mir auch nichts Besonderes auf meine Fähigkeiten ein. Ich denke lediglich, dass die Frage der Katharer … sagen wir, mit besonderer Umsicht behandelt
werden muss. Man kann gar nicht genau genug sein. Seit im 19. Jahrhundert ein selbsternannter Historiker namens Peyrat begonnen hat, über sie zu fabulieren, sind viele gefälschte Dokumente aufgetaucht. Es hat unzutreffende Auslegungen gegeben, und eine Unmenge Literatur ist verfasst worden, die größtenteils einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhält. Ich als Historiker kann etwas nur dann als echt erklären, wenn ich es mit den Mitteln der Wissenschaft untersucht habe.«
»Soll das heißen, dass Sie Peyrat für einen Hochstapler halten?« , rief der Anwalt verärgert aus.
»Immerhin scheint mir dieser Pastor der reformierten Kirche ein Ausbund an Unverfrorenheit zu sein. Er hat die Katharer als Vorläufer der Reformation hingestellt und damit der Geschichtswissenschaft, zumindest, was diesen Teil der Geschichte unseres Landes angeht, großen Schaden zugefügt. Den Katharern esoterische Züge zu unterstellen, ist eine grobe Verfälschung der Tatsachen.«
»Sie sind also mit seiner Ansicht nicht einverstanden«, sagte der Graf.
»Es handelt sich dabei um den gleichen blanken Unsinn«, gab Professor Fernand Arnaud zurück, »wie bei der politischen Bewegung, die ein Frankreich mit unterschiedlichen Identitäten und Sprachen auf ihre Fahnen geschrieben hat. Unter historischem Blickwinkel scheint mir das ein Rückschritt zu sein. Ich denke nicht, dass man den neuzeitlichen Staat opfern sollte, um ins Mittelalter zurückzukehren. Das 13. Jahrhundert war alles andere als eine Idylle und mit Sicherheit kein Arkadien, ganz gleich was uns gewisse Dunkelmänner weismachen wollen, die sich als Geschichtswissenschaftler aufspielen. Sie zimmern sich die Ereignisse nach Lust und Laune zurecht.«
Graf d’Amis sah ihn abschätzig an, bevor er mit Nachdruck sagte: »Wir stehen dieser von Ihnen offenbar in Grund und Boden verdammten politischen Bewegung nahe, deren Ziel es ist, dem Languedoc seine Geschichte, seine Sprache und seine Selbstbestimmung zurückzugeben. All das hat man unserem Land mit Waffengewalt entrissen.«
Der Historiker unterdrückte seinen spontanen Drang, laut herauszulachen. Er hatte schon mehr oder weniger vermutet, dass die beiden Männer zu der Bewegung jener Erleuchteten gehörten, die das Fantasiekonstrukt eines Katharerreichs errichten wollten.
»Nun, wir sind nicht hier, um politische Dispute zu führen«, erk lärte der Anwalt, »sondern um Ihre Meinung als Fachmann zu hören. Da Sie sich selbst nicht als den Besten einschätzen…«
Der Graf bedeutete ihm mit einer Handbewegung, nicht weiterzusprechen. Zwar ärgerte auch er sich über Arnaud, den man ihm als höchste Autorität auf dem Gebiet des französischen Mittelalters empfohlen hatte, als denjenigen, der mehr über die Katharer oder Albigenser wisse als jeder andere. Keinesfalls wollte er auf den Sachverstand eines solchen Mannes verzichten müssen, auch wenn es ganz so aussah, als würde sich ihre Beziehung nicht einfach gestalten.
»Was schlagen Sie vor, Professor?«
»Mit Bezug worauf?«
»Ich hätte gern die Echtheit dieser Dokumente bestätigt. Werden Sie das tun?«
»Das ist mir nur dann möglich, wenn ich sie mit nach Paris nehmen kann oder Sie selbst sie dort hinschaffen. Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich sie für echt halte, sie aber noch einer genaueren Prüfung unterziehen müsste. Was ich nicht
verstehe, ist … nun ja, wie es kommt, dass Sie ihre Echtheit nicht längst haben bestätigen lassen.«
»Unser Familienarchiv enthält eine ganze Reihe inventarisierter und authentifizierter Dokumente auf Papier und Pergament. Diese hier aber … offen gestanden ist die Geschichte der von Bruder Julián verfassten Chronik ziemlich verwickelt.«
In den Augen des Gelehrten leuchtete die Neugier, doch der Graf schien nicht geneigt, mehr zu sagen.
»Ich werde sie Ihnen selbst bringen. Nennen Sie mir eine Uhrzeit am, sagen wir, kommenden Montag. Über das Wochenende haben wir Gäste auf der Burg, so dass ich erst danach fortkann.«
»Sie finden mich ab acht Uhr in
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