Das Blut der Unschuldigen: Thriller
Leute sind das, und so eingebildet! Sogar der Junge, dieser Raymond, ist affig bis dort hinaus. Willst du wissen, worüber er gesprochen hat? Über die Katharer und die Schandtaten der katholischen Kirche … Die Leute müssen dem armen Jungen merkwürdige Dinge beigebracht haben.«
»Na ja, ein bisschen sonderbar sind sie schon.«
»Wenn du sie nicht leiden kannst, warum sind wir dann hier?«
»Man kann nicht immer tun, was man möchte. Ich habe dir ja schon erklärt, dass mich ein Historiker aus Toulouse, bei dem ich studiert habe, gebeten hat, ihm zu Gefallen einen Blick
auf ein einzigartiges Dokument zu werfen. Offen gestanden bin ich sehr froh, dass ich die Möglichkeit hatte, diese Chronik zu lesen. Es ist ein Bericht, der zu Herzen geht.«
Ein Diener führte sie in einen Vorraum des Speisesaals. Der Graf und die anderen Herren waren im Smoking, wie auch der kleine Raymond, während Arnaud und David Straßenk leidung trugen.
»Wir sind wir«, flüsterte Arnaud seinem Sohn zu. »Unsere Welt ist die des Geistes.«
»Keine Sorge. Ich würde mich in so ’nem Ding lächerlich fühlen. Sieh dir nur den Jungen an …«
Der Graf stellte Arnaud den anderen Gästen vor. Außer dem Anwalt waren das drei Herren und zwei Damen. Eine Burgherrin schien es nicht zu geben, denn keine der beiden wurde als Dame des Hauses vorgestellt.
»Baron und Baronin von Steiner, Graf und Gräfin von Trotta, und hier ein Fachkollege von Ihnen, Heinrich Marburg. Er lehrt an der Universität Berlin. Maître de Saint-Martin kennen Sie ja bereits.«
Bei einem Glas Champagner wurde unverbindlich geplaudert. Erst als der erste Gang abgetragen wurde, begriff Arnaud, dass er mit Faschisten reinsten Wassers am Tisch saß.
»Ganz Deutschland ist von Rahn begeistert«, erklärte der Berliner Professor, »und das mit Grund. Immerhin hat er etwas erkannt, wo andere nichts als Steine oder Wörter gesehen haben.«
»Beziehen Sie sich auf Otto Rahn, den Verfasser von Kreuzzug gegen den Gral ?«, erkundigte sich Arnaud.
»Auf eben den. Ein herausragender Mann, den persönlich zu kennen ich die Ehre habe. Ich bin hier mit dem ausdrücklichen Auftrag …«
»Doch nicht etwa den Gral zu finden?«, fragte Arnaud belustigt.
»Würde Sie das überraschen?«
»Es würde mich überraschen, wenn ein Professor der Universität Berlin etwas suchte, was nicht existiert. Der Gral ist Gegenstand einer Legende, eine Erfindung der mittelalterlichen Literatur.«
»Sie bestreiten seine Existenz?«, wollte von Trotta wissen.
»Selbstverständlich. Gewiss enthält Rahns Buch interessante Einfälle und packende Theorien, doch sind sie ohne jeden historischen Wert. Da er Schriftsteller und nicht Historiker ist, braucht das auch niemanden zu verwundern. Er hat einfach seiner Vorstellungskraft die Zügel schießen lassen und das Ergebnis in meisterhafter Weise formuliert.«
»Wie können Sie es wagen …«, rief Professor Marburg mit unverhohlenem Zorn aus. »Sie sollten wissen, dass Rahn aus den besten Quellen geschöpft hat. Er kennt die ganze nähere und weitere Umgebung hier besser als Sie, und jede seiner Theorien wird von Tatsachen untermauert. Alles, was er sagt, hat Hand und Fuß.«
»Ich bedaure, Ihnen da widersprechen zu müssen, aber das stimmt nicht. Ich weiß, dass seine Bücher großen Erfolg haben und viele Menschen seine Spekulationen für bare Münze nehmen. Doch das Languedoc, das er beschreibt, gibt es nicht, und seine Theorien, so einfallsreich sie sind, halten einer wissenschaftlichen Überprüfung in keiner Weise stand«, beharrte Arnaud.
»Sie fällen da ein hartes Urteil«, meldete sich Baron von Steiner zu Wort.
»Ich urteile hart, wo es um Dinge geht, die ich kenne, und ich weise jeden Versuch, die Geschichte umzuschreiben, zurück,
ganz gleich in wie prächtiger Gestalt er sich präsentiert. Otto Rahns Behauptung, in Montségur die Gralsburg Munsalvaesche aus Wolfram von Eschenbachs Parzival gefunden zu haben, ist ein hübscher Einfall, aber historisch unbrauchbar. Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mit einer anderen Meinung dienen kann.«
»Ich habe Professor Arnaud mit der Aufgabe betraut, die Echtheit der Chronik aus dem Besitz meiner Familie festzustellen, weil er als unangefochtene Autorität auf diesem Gebiet gilt«, erklärte Graf d’Amis. »Er würde nie im Leben etwas als einwandfrei echt bezeichnen, wenn er seiner Sache nicht völlig sicher wäre. Aus diesem Grund ist für mich sein Urteil über die Chronik von
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