Das Blut der Unschuldigen: Thriller
Professor Marburg wahrte, ebenso wie der Anwalt, eine gewisse kühle Zurückhaltung. Man sprach über alles und nichts – Musik, Literatur und gastronomische Fragen. Von Steiner erwies sich als glänzender Kenner französischer Weine und hielt einen längeren Vortrag darüber.
Als der Graf die Besucher am Burgtor verabschiedete, wusste Arnaud nach wie vor nicht, was er denken sollte. Dennoch freute er sich über die Zusage, in einer Woche die von ihm so sehr begehrte Chronik für seine weitere Arbeit in Händen halten zu dürfen.
Gleich nachdem die beiden die Burg verlassen hatten, hielt der Graf mit seinen übrigen Gästen eine geheime Besprechung in seinem Arbeitszimmer ab.
»Ich verstehe Sie nicht«, hielt ihm Professor Marburg vor. »Wieso wollen Sie diesen Arnaud unbedingt auf Ihre Seite ziehen? Wir brauchen ihn nicht.«
»Da irren Sie sich sehr«, gab der Graf zurück. »Wir sind auf ihn angewiesen, um zu finden, was wir suchen. Nur sein Name
wird uns die Türen zu Archiven und anderen Einrichtungen öffnen, die uns ansonsten verschlossen bleiben würden. Wir müssen lediglich dafür sorgen, dass er nichts von unseren wahren Absichten erfährt. Anders gesagt müssen wir künftig die Fehler vermeiden, die wir alle gestern beim Abendessen begangen haben.«
»Otto Rahn ist die bedeutendste Autorität auf der Welt mit Bezug auf die Katharer«, hielt Professor Marburg dagegen. »Wenn wir seinen Schriften folgen, finden wir den Gral.«
»Das allein genügt nicht. Wir sind hier in Frankreich, und die Franzosen sind Chauvinisten. Kein Leiter eines Archivs, das über wertvolle Dokumente verfügt, wird sich von dem Namen Rahn beeindrucken lassen, wohl aber von dem Professor Arnauds. Er soll unser Schlüssel sein, uns als gleichsam blinder Führer vorangehen und uns den Weg bahnen, ohne zu wissen, wohin wir wollen.«
»Hut ab!«, sagte von Trotta. »Das haben Sie genial eingefädelt. Der Mann ist zwar gekränkt davongegangen, war aber zugleich dankbar.«
»Ja, und er glaubt, jetzt wegen meiner Großherzigkeit in meiner Schuld zu stehen. Für Geld würde er nie und nimmer mit uns zusammenarbeiten, und wenn ihm unsere Pläne bekannt wären, würde er alles tun, um uns dabei in den Arm zu fallen.«
»Wenn dieser Ignorant fähig wäre, die Gedankentiefe von Luzifers Hofgesind zu erfassen«, murmelte Professor Marburg, »wüsste er, dass die Katharer nichts anderes waren als die getreuen Anhänger einer Lehre, die weit in vorgeschichtliche Zeiten zurückreicht. Sie hat nicht das Geringste mit der christlich-jüdischen Überlieferung zu tun, und schon gar nichts mit der Kirche. Ausschließlich ein großer Geist wie Rahn war imstande,
das zu erkennen … Ich spucke auf den Gott, den man in Rom verehrt.«
»Wer glaubt schon an den Gott der Päpste? Damit führt man doch nur die Armen hinters Licht«, meldete sich von Steiner zu Wort.
»Die Katholiken sehnen sich danach, ihr eigenes Kreuz tragen zu dürfen, um ihrem Christus nacheifern zu können. Den Gefallen werden wir ihnen tun«, ließ sich der Anwalt vernehmen. »Mögen sie daran umkommen.«
»Nun«, fasste der Graf zusammen. »Es liegt auf der Hand, dass wir als aufgeklärte Menschen nichts von den Torheiten der Religion wissen wollen. Doch wir dürfen das nicht offen zeigen. Wir sind hier nicht in Deutschland und sollten daher unsere Gedanken Außenstehenden nicht offenbaren, weil unser Vorhaben sonst Misstrauen wecken könnte. Im Augenblick sind wir auf Professor Arnaud angewiesen, und zum Glück hat er den Köder geschluckt. Sie, Professor Marburg, arbeiten einfach wie bisher entsprechend den Anweisungen aus Berlin weiter. Ich träume von dem Tag, an dem die Göttin Vernunft das im Languedoc vergossene Blut rächt.«
Nur widerstrebend hatte Arnaud zugestimmt, am Vorhaben des Grafen mitzuwirken. Niemand verlangte von ihm, dass er regelmäßig nach Toulouse oder Carcassonne reiste oder gar die Schluchten um den Berg Montségur herum durchstreifte. Von ihm wurde lediglich erwartet, dass er dem Grafen dank seiner Beziehungen die Türen bestimmter Archive öffnete und dafür sorgte, dass die örtlichen Behörden die Ausgrabungen nicht behinderten.
Sein Gewissen beschwichtigte er damit, dass er sich sagte, es sei nicht verwerflich, einen Kollegen von der Universität Berlin
zu unterstützen, auch wenn er diesen nicht ausstehen konnte. Dennoch empfand er ein gewisses Unbehagen beim Gedanken an die Bekannten des Grafen, die so begeistert von Otto Rahn
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