Das Blut der Unschuldigen: Thriller
jetzt auch Ihnen gegenüber tun. Bedauerlicherweise hat sich mein Sohn mit seinen unmöglichen Äußerungen verabscheuenswert benommen. Ich bitte Sie in seinem und meinem Namen, die darin liegende Kränkung zu entschuldigen. Nichts liegt mir ferner als ein solches Verhalten, und nichts läuft, wenn ich das sagen darf, meinen Interessen mehr zuwider.«
»Die Äußerungen Ihres Sohnes müssten Ihnen zu denken geben«, erwiderte Arnaud kalt.
»Er hat dafür bereits seine Strafe bekommen. Ich versichere Ihnen, dass er sein Fehlverhalten nicht so schnell vergisst.«
»Das Fehlverhalten liegt nicht darin, dass man etwas sagt, sondern in dem, was man denkt«, gab Arnaud zurück.
»Sie wissen, dass Kinder so manches hören, was sie nicht verstehen, und dann Dinge sagen …«
»Beispielsweise, dass Juden und Demokraten eine Pestbeule sind?« Der Klang von Davids Stimme ließ das Ausmaß seiner Pein und seines Zorns erkennen.
Der Graf sah zu ihm hin und bedeutete dann seinem Sohn, sich Jackett und Hemd auszuziehen. Raymond erbleichte und wurde dann schamrot.
Als Arnaud und David den Rücken des Jungen sahen, stießen sie einen Entsetzensschrei aus. Deutlich waren die Striemen zu erkennen, die der Gürtel des Grafen darauf hinterlassen hatte. Die blutbedeckte, zerfetzte Haut ließ keinen Zweifel: Er hatte eine furchtbare Tracht Prügel bezogen.
»Großer Gott! Ich …«, brachte Arnaud heraus.
»Ich hoffe, das reicht als Genugtuung für die Ungezogenheit meines Sohnes aus«, sagte der Graf trocken.
»Das war nicht nötig. Mir sind körperliche Züchtigungen zuwider … Wie können Sie Ihrem eigenen Fleisch und Blut so etwas antun?«
David wurde beim Anblick des misshandelten Rückens übel, denn ihm war bewusst, dass er die Schuld an der Qual des Kindes trug. Vielleicht hätte er dessen Worte nicht so ernst nehmen dürfen. Er wusste nicht, was er tun sollte, und hatte das übermächtige Bedürfnis, den Jungen um Verzeihung zu bitten.
»Das tut mir leid«, stammelte er und tat einen Schritt auf ihn zu. »Ich … ich …«
»Vorbei ist vorbei. Raymond wird daraus seine Lehre ziehen. Jetzt aber, Professor Arnaud, möchte ich Sie entschädigen, und als einzige Lösung dafür fällt mir ein, Sie über das Manuskript Bruder Juliáns verfügen zu lassen. Ich nehme das Angebot Ihrer Universität an. Sie können es so gründlich erforschen, wie es Ihnen beliebt, und selbstverständlich dürfen Sie Ihren Aufsatz auch veröffentlichen. Unser Familienarchiv steht Ihnen für Ihre Nachforschungen zur Verfügung. Allerdings müssten Sie dazu herkommen, da ich unsere Dokumente nicht aus der Hand geben möchte.«
Arnaud war verblüfft. Er hatte nicht zu hoffen gewagt, dass der Graf ihm die von seiner Vorfahrin in Auftrag gegebene Chronik überlassen werde, schon gar nicht, ohne Bedingungen daran zu knüpfen. Raymond stand nach wie vor mit entblößtem Rücken da, auf dem die Spuren seiner Demütigung zu sehen waren. Er wagte nicht, sich wieder anzuziehen, ohne von seinem Vater dazu aufgefordert zu sein. Schließlich bedeutete ihm der Graf mit einer Handbewegung, er könne sein Hemd überziehen.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll … all das ist … es tut mir leid, ich bedaure den Vorfall …«, stammelte Arnaud. »Wir sollten nicht die eine Sache mit der anderen verquicken.«
»Nehmen Sie bitte meine Entschuldigung und mein Angebot an. Mein Anwalt und Freund Maître de Saint-Martin wird eine Vereinbarung für die leihweise Überlassung der Chronik aufsetzen, die der Universität Paris das Recht einräumt, das Dokument so lange bei sich aufzubewahren, wie es für Ihre Arbeit erforderlich ist. Die Vereinbarung dürfte in der kommenden Woche bereit sein, und ich werde Ihnen die Chronik in Paris eigenhändig übergeben, da ich gegen Ende der Woche dort ohnehin geschäftlich zu tun habe. Ich werde zu gegebener
Zeit mit Ihnen und dem Rektorat telefonisch einen Termin vereinbaren.«
Arnaud war zugleich bedrückt und erstaunt. Angesichts dessen, was Raymond zugefügt worden war, schämte er sich für die Beharrlichkeit, mit der er darauf gedrungen hatte, die Chronik in die Hände zu bekommen.
Dennoch nahm er das Angebot an und dankte dem Grafen. Er vermied es, David anzusehen – mit ihm würde er auf der Rückfahrt über das Vorgefallene sprechen.
Das Mittagessen verlief friedlicher als die Abendmahlzeit am Vortag. Die Gäste des Grafen schienen bemüht, sich Arnaud von ihrer angenehmsten Seite zu zeigen. Lediglich
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