Das Blut der Unschuldigen: Thriller
ohnmächtiger Wut.
Dennoch versuchte er, die Situation zu erläutern, während der Baron seine Ungeduld zeigte, indem er scheinbar unauffällig auf die Uhr sah.
»… ich möchte Ihnen nicht die Zeit stehlen und bitte lediglich um Ihre Hilfe. Sicherlich können Sie erreichen, dass die Polizei den Fall ernst nimmt, ihn untersucht und den Zugschaffner befragt. Was das Verschwinden der Verwandten meiner Frau betrifft, handelt es sich dabei, wie ich verwundert feststellen musste, nicht um einen Einzelfall. Es sieht ganz so aus, als verschwänden immer wieder deutsche Juden von einem Tag auf den anderen, ohne dass jemand etwas über ihren Verbleib erfährt, abgesehen von jenen, die sie in die Arbeitslager bringen. Wie ist so etwas möglich? Was geschieht mit den
Unternehmen und den Arbeitsplätzen dieser Menschen? Was sich hier abspielt, erscheint mir entsetzlich.«
Unverhohlen empört schlug der Baron mit der Faust auf den Tisch: »Wie können Sie es wagen, über uns zu urteilen? Es kann keine Rede davon sein, dass hier Menschen verschwinden, wohl aber werden solche, die gegen die Gesetze verstoßen, in Arbeitslager gebracht. Die Juden haben Deutschland viel zu verdanken, und es ist an der Zeit, dass sie einen Teil dessen zurückgeben, was sie bekommen haben. Gegenwärtig brauchen die Fabriken viele zusätzliche Arbeitskräfte, um die von unserem Führer festgelegten Produktionsziele erreichen zu können. Die Jugend unseres Landes wird demnächst an die Front gehen, unsere besten Männer sind bereit, für ihr Vaterland zu sterben – und Sie machen sich Sorgen, weil ein paar Juden arbeiten müssen. Es ist empörend!«
Arnaud fühlte sich innerlich zerrissen. Er wusste nicht, ob es besser war, den Mund zu halten oder Dinge zu sagen, die seiner Überzeugung nicht entsprachen. Nach kurzem Überlegen kam er zu dem Ergebnis, das Letzteres gleichbedeutend mit Verrat an Miriam und David wäre.
»Ich billige die Politik Ihres Führers nicht, insbesondere mit Bezug auf die Juden. Die Levis sind Deutsche, wie nahezu alle Juden, die hier im Lande leben. Jeder Mensch muss das Recht haben, zu seinem Gott zu beten. Wo er geboren wurde, darf darauf keinen Einfluss haben, und niemand darf daraus auf mangelnde Vaterlandsliebe schließen. Unter Deutschlands besten Köpfen finden sich zahlreiche Juden. Es wäre unmöglich, die Geschichte Ihres Landes zu schreiben, ohne sie zu erwähnen, und das ist Ihnen auch bewusst. Doch ich bin nicht gekommen, um mit Ihnen zu rechten, sondern um Sie zu bitten, dass Sie mir helfen. Können Sie das tun?«
Von Steiner sah ihn unverwandt an und erhob sich dann.
»Machen Sie meiner Sekretärin alle Angaben über Ihre Frau und deren Verwandte. Ich werde Sie anrufen. Jetzt aber muss ich Sie bitten zu gehen. Ich habe viel zu tun. Ich darf Sie daran erinnern, dass die Beziehungen zwischen Ihrem und meinem Land gegenwärtig nicht die besten sind.«
Sie verabschiedeten sich kühl mit einem leichten Nicken voneinander. Die Sekretärin begleitete ihn zur Tür, nachdem sie rasch die ihr gemachten Angaben notiert hatte.
Als er auf der Straße stand, sah er auf die Uhr. Sein Besuch hatte keine zwanzig Minuten gedauert. Er atmete tief durch. Die frische Luft tat ihm gut, obwohl es gerade heftig zu regnen begann. Jetzt konnte er nur darauf hoffen, dass die Botschaft oder der Baron eine Spur fand. Allein diese Hoffnung, so gering sie auch war, erhielt ihn aufrecht.
Als er in sein Zimmer zurückkehrte, machte Inge Schmid gerade Abendbrot und hörte dabei Radio, während Günter selbstvergessen auf dem Fußboden spielte. Sie schien guter Dinge zu sein.
»Wie war es bei von Steiner?«, fragte sie.
»Er war nicht gerade umwerfend freundlich, aber ich hoffe, dass er mir hilft.«
Dann schilderte er ihr seinen Besuch in Einzelheiten und verschwieg auch nicht, wie beschämend er es empfunden hatte, sich vor Fremden grundlos rechtfertigen zu müssen. Dann bat er ein weiteres Mal die Nachbarn um Erlaubnis, David anzurufen. An allem, was der Junge sagte, merkte er, dass dessen Besorgnis noch gewachsen war. Anschließend teilte ihm Miriams Mutter mit, er esse kaum, weigere sich an manchen Tagen, zur Schule zu gehen, und schlafe so gut wie überhaupt nicht. Sie bat ihn, noch einmal mit ihm zu sprechen.
»Du musst stark sein«, sagte er zu David. »Um deiner selbst willen, um deiner Mutter willen und auch um meinetwillen. Wo auch immer sie sich befindet, sie wird stark bleiben, und wir dürfen ihr darin nicht
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