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Das Blut der Unschuldigen: Thriller

Das Blut der Unschuldigen: Thriller

Titel: Das Blut der Unschuldigen: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Navarro , K. Schatzhauser
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Alter.
    Übelkeit erfasste Arnaud. Welcher Glaubensfanatismus hatte sich da ausgetobt und hatte im Namen Gottes Ströme von Blut vergossen! Eigentlich war es undenkbar, dass Gott Menschen Vergebung gewährte, die in seinem Namen andere gefoltert und getötet hatten.
    Arnaud musste an seinen inzwischen fünfundzwanzigjährigen Sohn David denken, der mittlerweile alle kindliche Unschuld verloren und sich in einen radikalen Zionisten verwandelt hatte.
    Auf keinen Fall war er bereit, aus Palästina nach Frankreich zurückzukehren. »Ich bin Jude«, hatte er gesagt. »Damals haben die Leute dafür gesorgt, dass ich mir anders vorgekommen bin als sie, und jetzt bin ich anders.« Dann hatte er gefragt: »Wo waren in jenen Jahren eigentlich all jene, die sich jetzt über die Vernichtungslager entsetzen? Wenn wir Juden etwas gelernt haben, dann, dass wir uns auf niemanden als uns selbst verlassen dürfen. Deshalb brauchen wir ein Vaterland, aus dem man uns nicht vertreiben kann.«
    Er fühlte sich weder seinem Vater noch der gemeinsamen Vergangenheit zugehörig, hatte sich auf die Seite seiner Mutter geschlagen und seinen Daseinsgrund auf ihr Verschwinden gebaut.
    Am Ende des Krieges hatte ihn der Vater gebeten, ihn nach Berlin zu begleiten, wo er eine Spur von Miriam zu finden hoffte, doch hatte er sich diesem Wunsch verweigert.
    »Ich hasse die Menschen da, und zwar so sehr, dass es mir unerträglich wäre, dort über die Straße zu gehen. Bei jedem Vorüberkommenden müsste ich denken, er könnte am Tod meiner Mutter schuld sein. Ich habe keinen anderen Wunsch,
als diese Leute und ihre Gesinnungsgenossen zu töten, alle, die mit ihrem Stillschweigen zu diesem Entsetzen beigetragen haben.«
    »Nicht jeder Deutsche war ein Mörder, David. Auch dort haben sehr viele Menschen viel gelitten. Dein Onkel und deine Tante waren ebenfalls Deutsche.«
    »Sicher, Vater, aber ich empfinde nun einmal so, und deshalb ist es besser, dass ich dich nicht begleite.«
    Er verstand seinen Sohn – immerhin hatte dieser die Mutter und die Großeltern allein deshalb verloren, weil sie Juden waren.
    Arnaud erinnerte sich noch gut daran, wie man seine Schwiegereltern am 17. Juli 1942 zusammen mit Tausenden weiterer Juden verhaftet und in die vom Volksmund Vel d’Hiv genannte Radrennhalle von Paris gebracht hatte. Die meisten von ihnen Frauen, Kinder und alte Leute. Erfahren hatte er das durch einen Bekannten seines Schwiegervaters, der in sein Arbeitszimmer an der Universität gekommen war und ausgerufen hatte: »Man hat sie abgeholt!«
    Als er fetstellen musste, dass sie nicht mehr in ihrer Wohnung waren, dankte er insgeheim Gott dafür, dass es ihm gelungen war, David rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.
    Trotz seiner Vorsprache an vielen Stellen hatte er nichts erreicht, und so waren Miriams Eltern zusammen mit den übrigen Pariser Juden erst in ein Lager nach Pithiviers, dann nach Drancy und schließlich nach Auschwitz gebracht worden, von wo sie nicht zurückkehrten.
    Diese Einzelheiten hatte er erst sehr viel später erfahren. Zu jener Zeit führten sich die Vertreter des Vichy-Regimes genauso auf wie die Behörden in Deutschland. Sie taten, was ihnen beliebte, wussten angeblich nichts und sagten nichts. Erst
erließ man ein Judenstatut, rief dann ein Generalkommissariat für die Judenfrage ins Leben und verschleppte anschließend die jüdische Bevölkerung in Vernichtungslager.
    Er hatte David lange in Unwissenheit darüber gelassen. Da ihm klar war, dass dieser einen weiteren Verlust nicht verwinden würde, war er dessen Fragen nach den Großeltern so gut es ging ausgewichen.
    Eines Tages aber hatte David nicht mehr gefragt, sondern einfach gesagt: »Man hat sie weggebracht, stimmt doch?« Er hatte ihn durch das Telefon schluchzen hören und sich zusammengenommen, damit David nicht merkte, wie ihm selbst zumute war.
    Ja, nachdem man sechs Millionen Juden ermordet hatte, durfte David es sich erlauben, ungerecht zu sein.
     
    Inzwischen arbeitete er in einem Kibbuz und erklärte, es gehe ihm gut und er sei sogar glücklich. Er teilte dem Vater mit, er träume davon, in die Hagana einzutreten, die paramilitärische Selbstschutzorganisation der jüdischen Siedler. In einem der ersten Briefe an seinen Vater hatte er geschrieben:
     
    »Inzwischen lerne ich Arabisch von einem Palästinenser, mit dem ich mich angefreundet habe, und ich bringe ihm Französisch bei. Er heißt Hamsa und ist genauso alt wie ich. Der kleine Bauernhof seines Vater

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