Das Blut der Unschuldigen: Thriller
stößt an unseren Kibbuz. Ab und zu streifen wir gemeinsam durch die Umgebung. Genau wie ich interessiert er sich für Fußball. Jakob, der Leiter unseres Kibbuz, sagt, ich soll ihm nicht zu sehr vertrauen, doch ich sehe nicht ein, warum. Hamsa ist ein guter Mensch, der dasselbe will wie ich: in Frieden leben und ein Stück Erde haben, auf dem er sich zu Hause fühlt. Das Land, in dem wir leben,
ist klein, doch wir haben dort alle Platz, und deshalb habe ich auch zum Kibbuz-Leiter gesagt: ›Wir müssen miteinander leben können.‹ Hamsa denkt genauso. Neulich waren wir auf der Jagd. Wir sind zwar ohne Beute heimgekommen, aber es hat uns großen Spaß gemacht. Hamsas Eltern haben nichts gegen unsere Freundschaft und mich schon des Öfteren zum Abendessen eingeladen. Er kommt auch in den Kibbuz, wozu er früher nie den Mut hatte. Manchmal hilft er mir bei der Feldarbeit, die ich nicht besonders mag, aber sie muss getan werden. Ich bin so froh, einen palästinensischen Freund zu haben. Der Leiter unseres Kibbuz ist überzeugt, dass wir eines Tages Schwierigkeiten bekommen werden, aber ich teile seinen Pessimismus nicht. Natürlich weiß ich, dass manche Palästinenser unsere Anwesenheit im Lande fürchten. Ich sage immer zu Hamsa, wir wollen darauf hinarbeiten, dass wir hier gemeinsam leben können. Immerhin sind sie ebenso wie wir Kinder Abrahams …«
Aus Davids Briefen sprach große Begeisterung. Wenigstens war er nach wie vor ein guter Mensch, sagte sich Arnaud beruhigt. Eines Tages würde er ihn besuchen, aber zuvor wollte er noch einmal nach Berlin. Vor allem aber musste er die Arbeit über Bruder Julián fertig stellen.
Wieder überkam ihn Übelkeit bei der Erinnerung an den Grafen d’Amis und die befremdlichen Menschen, die in der Umgebung von Montségur alles umgegraben hatten, weil sie nach einem Schatz suchten, den es nicht gab.
Seit er wusste, dass der Graf auf Seiten des Vichy-Regimes stand, war es ihm außerordentlich schwergefallen, seine Forschungsarbeit weiterzuführen. Ein Kollege aus Toulouse hatte ihm über die deutschen Freunde des Grafen mitgeteilt: »Die
suchen den Gral für Hitler«, doch das war ihm bereits bekannt. Zwar hatte er dem Vorhaben keinerlei Bedeutung beimessen wollen, weil es ihm so absurd erschienen war, aber trotz der Versuche des Grafen, sein eigentliches Ziel geheim zu halten, hatte er im Laufe der Zeit begriffen, dass dieser von der Vorstellung eines unabhängigen Languedoc förmlich besessen war. Das Deutsche Reich unterstützte er, weil er damit zu erreichen hoffte, dass man diesen Teil des Landes von Frankreich abtrennte. Dann konnte das Languedoc, so sein Traum, die im Verlauf des Katharer-Kreuzzugs verlorengegangene Unabhängigkeit zurückgewinnen.
Nach Miriams Verschwinden hatte das Leben für ihn seinen Sinn verloren, und lediglich die Hoffnung hielt ihn aufrecht, eines Tages werde ihm jemand eine Spur zu ihr zeigen. Wenn es so weit war, würde er versuchen zu erreichen, dass der Graf seine Beziehungen zu den Deutschen nutzte, damit sie wieder zusammenkamen. Doch der Krieg, der sich in seiner ganzen unverhüllten Grausamkeit zeigte, hatte diese Hoffnung längst zuschanden werden lassen. Mit der Zweiteilung Frankreichs waren alle privaten Angelegenheiten in den Hintergrund gerückt – auch die seine.
14
An seinem Zufluchtsort erinnerte sich Arnaud an die Monate, die unmittelbar auf das Kriegsende gefolgt waren.
Er war ohne David nach Deutschland gefahren, zu Inge Schmid, die alle Zwischenfälle der Zeiten überlebt hatte. Gemeinsam hatten sie erneut nach Miriam gesucht, waren von einer Stelle zur anderen gezogen, waren die Listen derer durchgegangen, die man in Vernichtungslager gebracht hatte. In einer von ihnen war er auf den Namen Deboras und in einer anderen auf den des Ehepaars Bauer gestoßen, und er hatte Tränen der Wut und des Schmerzes geweint.
Sie hatten festgestellt, wann Sara und Isaak Levi ins Konzentrationslager gebracht, und auch das Datum, an dem sie ins Gas geschickt worden waren. Von Miriam aber hatten sie nicht die geringste Spur gefunden.
»Wir müssen warten, bis wir Kenntnis von der ganzen Wahrheit erhalten«, hatte Inge Schmid gesagt. »Es kann noch ziemlich lange dauern, bis die Allgemeinheit erfährt, wie viele Menschen in den Folterkellern der Gestapo umgekommen sind. Hier in Deutschland möchte man lieber nicht so genau wissen, was geschehen ist und wovor alle die Augen verschlossen haben.«
»Und was ist mit Ihnen? Was
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