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Das Blut der Unsterblichen

Das Blut der Unsterblichen

Titel: Das Blut der Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Saamer-Millman
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ihre Kehle hinab, löschte das Feuer in ihrem Bauch und entfachte ein anderes. Lebendig und wild loderte es durch ihren Leib. Sie trank, bis kein einziger Tropfen mehr aus der Wunde trat, dann ließ sie sich auf dem Waldboden fallen und blickte sich verwirrt um. Der Wald war plötzlich so laut. Überall um sich herum vernahm sie Geräusche, die wie Donner in ihren Ohren hallten. Sie sah Dinge, die sie zuvor nicht gesehen hatte. Ameisen, die über trockene Tannennadeln krabbelten, eine Maus, die hinter einer Baumwurzel verschwand. In einem Moment sah sie die Dinge ganz nah und im nächsten waren sie schon wieder verschwunden. Die Rinde eines Baumes, ein Eichhörnchen auf einem Zweig, ein Blatt erschien direkt vor ihren Augen und verschwand. Desorientiert versuchte sie, auf die Beine zu kommen und taumelte, weil sie schon stand, bevor sie ihrem Körper den Befehl zum Aufstehen überhaupt gegeben hatte. Marcus kam auf sie zu, und sie erschrak, weil die Poren in seiner Haut so groß waren wie Vulkankrater. Er schloss sie in seine Arme und hielt sie fest.
    „Was geschieht mit mir?“, fragte sie verstört.
    „Nichts Besorgniserregendes. Du bist noch nicht in der Lage, deine Pupillen zu fokussieren. Nach der ersten Blutmahlzeit entfalten sich deine Fähigkeiten, nur kann dein Gehirn die neuen Informationen noch nicht richtig verarbeiten. Alles muss sich jetzt erst aufeinander einspielen“, beruhigte er sie.
    Kristina lehnte sich an ihn und schloss die Augen. Die Bäume folterten sie mit ihrem aufdringlichen Rauschen und die Tiere trampelten durch den Wald wie eine Elefantenherde. Marcus hielt sie fest, gab ihrem schwankenden Körper Halt. Am Horizont wurde die Schwärze der Nacht von einem trüben Hellgrau abgelöst.
    „Lass uns gehen“, sagte er nach einer Weile. „Ich bringe dich ins Hotel zurück.“
    Vorsichtig öffnete Kristina die Augen. Von der Blutmahlzeit waren ihre Pupillen geweitet, sodass das graue Dämmerlicht ihr plötzlich gleißend hell erschien. Geblendet kniff sie die Augen zusammen. Wenigstens schienen ihre Pupillen nun wieder in der Lage zu sein, in einer Sehschärfe zu verweilen. Sie machte einen vorsichtigen Schritt und dann noch einen. Marcus nahm ihre Hand und führte sie langsam Richtung Ausgang. Nach ein paar Schritten empfand sie ihren Gang als schleichend und so legte sie einen Schritt zu. Doch auch diese Geschwindigkeit unterforderte sie, also lief sie noch ein wenig schneller. Schließlich flitzten sie Hand in Hand über die Wiese. Sie spürte den Wind in ihrem Gesicht, intensiver als je zuvor, und die feinen Vibrationen des Bodens. Die Luft war erfüllt von zahllosen Düften. Tannennadeln, Erde, Baumrinde, Gras, Blumen, Beeren, Kot und Blut, jeder Einzelne ein Erlebnis für ihre Sinne. Die unbändige Kraft und Schnelligkeit ihres Körpers beglückte sie. Jeder Schritt war ein Ausdruck ihrer neu gewonnenen Stärke. Wie hatte sie je an diesem Leben zweifeln können? Es war fantastisch, eine Unsterbliche zu sein. Sie nahm Anlauf und sprang in einem Satz über die Absperrung. Marcus folgte ihr lachend. Kristina streckte die Arme aus und wirbelte im Kreis herum, dann warf sie sich übermütig in Marcus’ Arme. „Ich danke dir“, sagte sie und küsste ihn ungestüm. Die Berührung war wie ein Funkenschauer auf ihren Lippen. Ihre Zunge schnellte in seine Mundhöhle und erforschte die kühle Feuchtigkeit darin. Sie roch und schmeckte alles und es war fantastisch.
    „Wofür war das denn?“, fragte Marcus atemlos, als sie endlich ihre Lippen von seinen löste.
    „Für dieses neue Leben, für diesen Kuss, dafür, dass du bei mir bist und ich dich lieben darf“, erwiderte sie.
    Er drückte sie an sich, so fest er konnte. „Nein, ich danke dir. Du hast meinem Leben einen Sinn gegeben, mir eine Tochter geschenkt und du bist bei mir geblieben, obwohl ich dir soviel angetan habe.“
    Wieder küssten sie sich. Kristina verspürte den Wunsch, sich die Kleider vom Leib zu reißen und sich mit ihm zu paaren. Sich wie Tiere in Gras und Staub und Dreck zu wälzen, nackt, bis ans Ende der Zeit. Doch die ersten Sonnenstrahlen rissen sie aus ihrer Fantasie, erinnerten sie mit Nachdruck daran, dass es höchste Zeit war, zu gehen.
    Im Wagen klappte sie den Sonnenschutz nach unten und betrachtete sich in dem kleinen Spiegel. Ihre Fangzähne hatten sich noch nicht wieder zurückgezogen. Vorsichtig fuhr sie mit den Fingerspitzen über ihre empfindsame Gesichtshaut, ertastete ihre Lippen und die messerscharfe

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