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Das Blut der Unsterblichen

Das Blut der Unsterblichen

Titel: Das Blut der Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Saamer-Millman
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an. „Wollen wir spazieren gehen?“
    „Warum? Die letzten vierundzwanzig Stunden hast du mich mit Schweigen gestraft“, erwiderte Leila.
    „Wir haben etwas zu besprechen und ich nehme an, dass es in deinem Sinne ist, wenn wir es nicht in diesem Haus tun.“
    Leila machte eine mürrische Miene. „Das ist Erpressung.“
    Er zuckte gleichmütig mit den Schultern.
    „Also gut“, murrte sie.
    „Ich warte draußen auf dich“, sagte er und ging.
    Leila rutschte vom Bett, streifte ihre Turnschuhe über und folgte ihm nach draußen. Er wartete vor der Eingangstür, eine Sonnenbrille und eine Schildkappe in der Hand. „Hier, die solltest du besser aufziehen. Die Sonne bricht immer wieder durch die Wolkendecke und das ist unangenehm für unsere Haut und die Augen.“
    Auch Tian setzte eine Sonnenbrille auf. Dann schlenderten sie an der Themse entlang. Leila genoss den Spaziergang, obwohl sie immer, wenn die Sonne durch die Wolkendecke brach, ein leichtes Brennen auf der bloßen Haut verspürte. Schnell steckte sie ihre Hände in die Hosentaschen und senkte den Kopf. „Was willst du mit mir besprechen?“
    „Ich möchte mit dir über den Abend reden, an dem dein Vater bei dir gewesen ist. Was wollte er?“, fragte Tian.
    „Warum willst du das wissen?“
    Tian seufzte. „Ich arbeite für den Ältestenrat und ich möchte wissen, was ich verheimliche.“
    „Vielleicht ist es besser für dich, wenn du es nicht weißt“, erwiderte sie. „Je weniger du weißt, umso überzeugender kannst du den Ahnungslosen spielen.“
    „Dann gehe ich also recht in der Annahme, dass er aus einem bestimmten Grund zu dir gekommen ist und nicht einfach aus Sorge um das Wohl seiner Tochter?“, entgegnete Tian.
    Leila warf ihm einen giftigen Blick zu. „Ich möchte wirklich nicht über meinen Vater reden. Er ist fort, und was er von mir wollte, geht dich nichts an.“
    Tian ergriff ihren Arm und zwang sie, mit ihm stehenzubleiben. „Hast du ihm von deinem Blut gegeben, Leila?“
    Sie sah ihn trotzig an. „Wieso sollte ich das tun?“
    „Du weißt genau wieso! Du hast ihm geholfen, damit er deine Mutter verwandeln kann, richtig?“
    Leila riss sich los. „Und wenn schon. Es ist nur fair, dass meine Mutter diese Chance bekommt. Sie ist meine Mutter , Tian! Kannst du das nicht verstehen?“
    „Doch, ich kann das verstehen, bis vor einem Jahr hatte ich selbst noch eine Mutter, aber es ist eine unserer obersten Regeln, keine ungenehmigte Verwandlung herbeizuführen. Die Ältesten werden es früher oder später herausfinden und dann stecken wir beide in echten Schwierigkeiten. Ich will nicht in irgendein sonniges Nest am anderen Ende der Welt verbannt werden“, erklärte er.
    Leila zuckte mit den Schultern und schlenderte weiter. „Dann hättest du mich nicht danach fragen dürfen. Jetzt bist du ein Mitwisser, Pech für dich.“
    „Ich darf diese Information nicht für mich behalten, ich werde Nahum Akech heute Abend Bericht erstatten. Bis dahin dürfte deine Mutter sowieso verwandelt sein.“
    Leila stieß einen verächtlichen Laut aus. „Du bist ein Feigling, Tian. Du enttäuschst mich.“
    „Ich mag dich, Leila, das musst du mir glauben, aber ich möchte meine Stellung nicht verlieren. Meine Loyalität gilt dem Ältestenrat. Nur wenn ich etwas erreiche, kann ich auch etwas verändern. Unsere Gesetze müssen dem Lauf der Zeit angepasst werden. Dinge, die vor zweihundert Jahren Gültigkeit hatten, sind heute längst überholt. Wenn ich jetzt meine Karriere zerstöre, wird das ein Wunschtraum bleiben, denn dann genieße ich nie wieder das Vertrauen des Rates.“
    Leila schwieg. In gewisser Weise konnte sie Tians Beweggründe verstehen, trotzdem war sie enttäuscht. Sie hatte gehofft, dass niemand je erfahren würde, wer für die Verwandlung ihrer Mutter verantwortlich war.
    Tian griff nach ihrer Hand, doch sie entzog sie ihm und wandte ihren Blick von ihm ab. Der Gehweg füllte sich mit Touristen. Menschliche Ausdünstungen vermischten sich mit den Abgasen der vorbeifahrenden Autos, dem strengen Dieselgeruch der Schiffe und dem frischen Duft der Bäume und Gärten um sie herum. Ein buntes Bouquet an Gerüchen und Geräuschen. Leila sog die Luft ein und fragte sich, wie es wohl wäre, das Blut eines Sterblichen zu trinken. Nicht aus einem Weinkelch, wie bei Blanche, sondern warm und frisch, direkt aus der Halsschlagader. Bei dem Gedanken lief ihr das Wasser im Mund zusammen und sie spürte ein leichtes Brennen in den Eingeweiden.

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