Das Blut der Unsterblichen
mir ein großes Haus und ausreichend Geld für meine Ausbildung hinterlassen. Was kann ein junger Mann mehr verlangen?“
„Ein Haus ist noch lange kein Zuhause. Warum war dein Vater lieblos? Und wer hat für dich gesorgt, nachdem er gestorben ist?“
Marcus schwieg und Kristina überkam das unbestimmte Gefühl, dass ihm ihre Fragen unangenehm waren. „Es tut mir leid. Bin ich taktlos gewesen?“
„Nein. Ich war ein ungewolltes Kind, Kristina, wie Millionen anderer auch. Es hätte besser sein können, doch ich kam zurecht“, antwortete er schließlich.
„Wie?“
„Es war nicht einfach, das gebe ich zu, doch ich fand Verwandte in Kuba, bei denen ich ein paar Jahre bleiben konnte. Irgendwann bin ich dann in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt, um zu studieren. Nach dem Studium fing ich bei ANB an, einem der führenden Technologiekonzerne für Energietechnik. So bin ich dann hier gelandet“, beendete er seinen Bericht.
„Darf ich fragen, woran deine Mutter gestorben ist?“
Er mied ihren Blick, als er antwortete. „Sie starb an gebrochenem Herzen.“
Kristina stutzte. „Das ist ein Scherz, oder?“
„Nein“, erwiderte er mit fester Stimme. Die Ernsthaftigkeit, mit der er ihre Frage verneinte, überraschte sie.
„Leidest du noch darunter?“
Marcus schüttelte den Kopf. „Nein, es liegt schon lange zurück. Wenn ich es erzähle, fühlt es sich an, als wäre es die Geschichte eines anderen.“
„Viele Erwachsene tragen ihr Leben lang ihre Kindheitstraumen mit sich herum. Ich weiß, wovon ich rede.“
Marcus ließ seinen Blick über das Tal und die grünen Hügel schweifen. „Vielleicht hat es meinen Charakter geprägt, doch ich habe keine bleibenden Schäden davongetragen. Es liegt definitiv hinter mir.“ Seine Augen wanderten wieder zu Kristinas Gesicht. „Unsere Schicksale ähneln einander.“
Kristina nickte. „Das ist wahr.“
Er ergriff ihre Hände. „Eines Tages werden wir über die betrüblichen Dinge, die uns in der Vergangenheit widerfahren sind, sprechen, doch nicht heute. Dieser Abend gehört der Zukunft.“
„Du hast recht“, lenkte Kristina ein. „Aber irgendwann würde ich gerne mehr über dein Leben erfahren.“
„Bei Gelegenheit werde ich dir alles erzählen, ich verspreche es“, sagte er und setzte sein charmantestes Lächeln auf.
Bis tief in die Nacht hinein redeten sie und genossen ihr Beisammensein. Als im Innenraum die Stühle hochgestellt wurden, stellten sie überrascht fest, dass sie die letzten Gäste waren und es an der Zeit war, zu gehen. Auf dem Weg zum Parkplatz schlug Marcus einen Spaziergang vor.
„Hier im Wald? Mitten in der Nacht? Ich kann ja kaum meine Hand vor Augen sehen“, sagte Kristina. Skeptisch blickte sie zu der einsamen Lampe hinauf, die den Parkplatz nur dürftig erhellte, dann wanderte ihr Blick zu der undurchdringlichen Schwärze, die sie von allen Seiten umschloss.
„Du musst keine Angst vor der Dunkelheit haben“, erwiderte Marcus.
„Ich habe keine Angst vor der Dunkelheit, sondern vor dem, was in der Dunkelheit lauert.“
Marcus lachte. „Es ist eine mondhelle Nacht und du kannst mir Folgendes glauben: Ich werde dich vor allem beschützen, was da lauern könnte. Nichts und niemand wird dir etwas tun, solange ich in deiner Nähe bin.“
Kristina seufzte. „Also gut, wenn du so überzeugt von deinen Fähigkeiten als Beschützer bist, dann lass uns spazieren gehen.“
Zielsicher führte er sie zu einem kleinen Waldweg. Kristina wunderte sich, woher er wusste, dass es ihn gab. Schließlich war er noch nie an diesem Ort gewesen. Der unebene Boden und das herumliegende Geäst forderten jedoch ihre gesamte Aufmerksamkeit, sodass sie nicht dazu kam, ihn danach zu fragen.
Mit traumwandlerischer Sicherheit lavierte Marcus sie den Pfad entlang. Hin und wieder raschelte es im Unterholz und Kristina umklammerte ängstlich seinen Arm oder drückte sich erschrocken an ihn. Plötzlich blieb er stehen, legte den Kopf in den Nacken und blickte zu den Sternen hinauf. Es dauerte einen Moment, bis Kristina erkannte, dass sie sich auf einer kleinen Lichtung befanden.
„Ich liebe die Nacht“, sagte er.
„Was liebst du daran?“, fragte sie erstaunt.
„Ich liebe den Duft und den Schutz, den die Dunkelheit gewährt. Ich liebe die kühle Frische und die Stille. Die Nacht ist sinnlich und sie birgt ein Geheimnis, welches ich ergründen möchte, um dann ein Teil davon zu werden.“
Kristina betrachtete ihn, wie er da stand, mit
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