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Das Blut der Unsterblichen

Das Blut der Unsterblichen

Titel: Das Blut der Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Saamer-Millman
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Kristina, wenn auch widerstrebend. Warum konnte Tania sie nicht einfach in Ruhe lassen? Merkte sie denn nicht, wie anstrengend es für sie war, zu duschen und sich anzuziehen und aus dem Haus zu gehen? Außerdem hatte sie keine Lust, ihre Lebensgeschichte vor irgendeinem Mann auszubreiten, auch wenn es sich dabei um einen Arzt handelte. Warum musste Tania sie zu so etwas zwingen?
     
    Als sie am nächsten Morgen geduscht und angezogen auf ihre Freundin wartete, fühlte sie sich wider Erwarten lebendiger. Sie beschloss, nach dem Arztbesuch einen langen Spaziergang zu machen, denn Leila war schon seit Tagen nicht mehr an der frischen Luft gewesen.
    Das Wartezimmer der Praxis war überfüllt und Kristina sah sich gezwungen, neben einem permanent hustenden, älteren Herrn Platz zu nehmen. Sie beäugte ihn angewidert und hoffte inständig, dass er nichts Ansteckendes hatte. Als der Mann aufgerufen wurde, winkte sie erleichtert Tania zu sich.
    „Soll ich dich begleiten?“, fragte Tania.
    Kristina schüttelte den Kopf. „Nein, das wäre mir unangenehm. Ich komme schon klar.“
    Sie nahm eine der ausliegenden Zeitschriften zur Hand und blätterte darin herum. Irgendeine Berühmtheit hatte sich liften lassen und ein Mitglied der königlichen Familie wollte eine Bürgerliche heiraten. Genervt warf sie die Zeitschrift auf den Stapel zurück und betrachtete stattdessen Leila, die in ihrer Babyschale lag und schlief.
    Leila schläft immer am Tag und nicht in der Nacht. Sie macht ihrem Namen wirklich alle Ehre, dachte sie.
    Der Arzt nahm sich viel Zeit, befragte sie zu Marcus’ Tod und ihrer Familiengeschichte. Kristina gab erst zögerlich Auskunft, doch nach einer Weile verlor sie ihre Zurückhaltung und die Worte begannen, aus ihr herauszusprudeln.
    Der Arzt hielt ihr Krankheitsbild für eine ausgewachsene Depression und bestand darauf, dass sie medikamentös behandelt werden müsse. Zusätzlich riet er ihr zu einer Psychotherapie. Sie willigte seufzend ein, zu schwach, um zu widersprechen. Sie fühlte sich hölzern und willenlos, wie eine Marionette, man musste nur an einem Faden ziehen, um irgendetwas zu bewegen, doch von alleine bewegte sich nichts.
    Tania hielt vor der nächsten Apotheke, um Kristinas Rezept einzulösen.
    „Du musst so schnell wie möglich mit der Einnahme beginnen“, sagte sie. „Du wirst sehen, in ein paar Tagen fühlst du dich schon besser.“
    Kristina glaubte nicht so recht an die Wunderwirkung der Tabletten, doch, artige Marionette die sie war, fing sie tatsächlich an, sie einzunehmen. Fünf Tage später erwachte sie aus einem tiefen, traumlosen Schlaf und verspürte zum ersten Mal den Wunsch, freiwillig aufzustehen. Nach acht Tagen ertappte sie sich dabei, wie sie Leila etwas vorsang und nach zwei Wochen stellte sie Überlegungen an, ob der Besuch einer Krabbelgruppe eine gute Sache für ihre Tochter wäre. Sie war nicht glücklich, das wäre dann doch zu viel verlangt gewesen, aber sie schaffte es zumindest, den Schmerz und die innere Leere zu ignorieren und ihren Alltag zu meistern.
    Da sie sowieso nichts Besseres zu tun hatte, nahm sie sogar Kontakt zu einer Psychologin auf. Diese gab ihr aufgrund der Dringlichkeit einen, wie sie es nannte, schnellen Termin. Kristina fand den Termin nicht wirklich schnell. Drei Wochen waren eine lange Zeit, wenn man unter schweren Depressionen litt.
    Auch den Kontakt zu einer Krabbelgruppe stellte sie her. Immer wieder sagte sie sich, dass sie dies für Leila tue, denn als sie die übertrieben fröhliche Stimme der Kontaktmami hörte, die von sich und ihrem Nachwuchs ausschließlich im Plural sprach, hätte sie am liebsten sofort wieder aufgelegt.
    Bei den wöchentlichen Treffen versuchte sie, Interesse zu heucheln, nahm Backrezepte und Erziehungstipps entgegen und strengte sich an, sich an das allgemeine wir zu gewöhnen. Sie tat alles ganz mechanisch, ohne eigenen Willen, als wäre sie darauf programmiert worden, zu funktionieren. So kämpfte sie sich durch die Zeit, arbeitete, beschäftigte Leila, verrichtete die Hausarbeit und schaffte sich langsam aber sicher so etwas wie ein neues Leben.

10
     
    Kristinas Leben dümpelte dahin. Wie eine Eisscholle trieb sie voran, blieb innerlich aber wie erstarrt. Manchmal fragte sie sich, ob sie Marcus glorifizierte oder als Schutzschild vorschob, um einen Grund zu haben, nicht noch einmal von vorne beginnen zu müssen. Und sie fragte sich, ob sein Tod sie wirklich so tief erschüttert hatte, dass sie nun

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