Das Blut der Unsterblichen
Marcus wütend hervor. „Ich werde dich bestimmt nicht zurücklassen. Glaube nicht, dass sie dich vergessen werden. Unsterbliche vergessen nicht. Auch wenn es viele Jahre dauert, sie werden kommen, das ist eine Gewissheit!“
Kristina zuckte mit den Schultern. Ihr Herz fühlte sich an wie ein Stein. „Wie ich eben sehen konnte, sterbe ich dann wenigstens einen schnellen und, wie ich hoffe, schmerzfreien Tod. Es gibt wohl Schlimmeres, zum Beispiel dich oder Leila zu verlieren. Ich finde, wir sollten diese Option wenigsten in Betracht ziehen.“
„Nein! Das kommt gar nicht infrage, Kristina. Es ist in keinem Fall eine zur Diskussion stehende Option!“
Kristina enthielt sich einer Erwiderung. Marcus war nicht bereit, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen, noch nicht. Doch bald würde er erkennen, wie langsam und schwach sie war. Nur Ballast für ihn und Leila.
Als sie wenige Minuten später vor dem Haus hielten, stand Leila am hell erleuchteten Wohnzimmerfenster und blickte auf die Straße. Bevor sie zur Haustür gelangten, wurde diese auch schon von innen aufgerissen.
„Wo seid ihr gewesen?“, schrie Leila. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Ich dachte schon, ihr hättet mich zurückgelassen. Und wieso hast du dein Handy nicht mitgenommen?“ Sie funkelte ihre Mutter zornig an.
Kristina umarmte Leila. „Oh Schatz, entschuldige. Wir dachten, du schläfst tief und fest, und dass du es gar nicht bemerken würdest, wenn wir kurz wegfahren.“
„Was heißt hier kurz? Ihr seid fast zwei Stunden weg gewesen. Du weißt doch genau, wie schlecht ich schlafe. Hättet ihr mir nicht wenigstens eine Nachricht hinterlassen können?“, zeterte sie weiter.
Kristina versuchte, Leila zu beschwichtigen und war froh, als sie endlich aufhörte zu schimpfen. Sie hatte Kopfschmerzen und fühlte sich ausgelaugt. Während Marcus seine Reisetasche aus dem Wagen holte, duschte sie schnell und zog einen Schlafanzug an.
Als sie in das Wohnzimmer zurückkehrte, fand sie Leila neben Marcus sitzend auf dem Sofa vor. Sie unterhielten sich leise. Sie hielt inne und beobachtete die beiden, stellte sich vor, wie es hätte sein können, wenn Marcus nicht gegangen wäre, wenn er kein Unsterblicher wäre. So vieles hatten sie und Leila nicht erleben dürfen. Andererseits wäre das Familienidyll, welches sie im Sinn gehabt hatte, sowieso niemals Wirklichkeit geworden.
„Ich gehe schlafen“, sagte sie von der Tür aus.
Die Beiden wandten sich um. „Okay, gute Nacht Mama“, sagte Leila.
„Gute Nacht“, sagte Marcus. „Denk noch mal über alles nach. Spätestens übermorgen sollten wir die Stadt verlassen.“
Kristina nickte und schlurfte in ihr Schlafzimmer hinauf. Einem plötzlichen Impuls folgend, schloss sie die Tür ab. Marcus’ wahre Identität war ihr unheimlich und sie wollte vermeiden, dass er mitten in der Nacht unbemerkt vor ihrem Bett stand. Ihr Kopf summte, als wäre ein Bienenschwarm darin gefangen. Unzählige Gedanken schwirrten unkoordiniert darin herum. Sie musste mit jemandem reden, irgendjemandem außer Leila oder Marcus. Sie beschloss spontan, Frank anzurufen. Vielleicht könnte sie sich mit ihm treffen, bevor sie außer Landes floh. Zwar durfte sie ihm nicht die ganze Wahrheit erzählen, doch sie brauchte unbedingt den Rat eines Außenstehenden. Irgendetwas würde sie ihm schon erzählen können, ohne alles zu verraten.
Nach einer Weile forderte die Erschöpfung ihren Tribut und sie schlief ein. Ein leises Klopfen an der Tür weckte sie. Verschlafen blickte sie zum Radiowecker. Drei Uhr.
Typisch Marcus , dachte sie, denn um ihn handelte es sich zweifelsohne. Benommen stolperte sie zur Tür und schloss auf. „Was ist?“
„Leila ist zu Bett gegangen und ich wollte gerne noch ein paar Minuten bei dir sein. Ist das in Ordnung für dich?“
„Musst du mich deswegen mitten in der Nacht wecken?“, brummelte sie.
„Du hast die Tür abgeschlossen, was mich daran hinderte, unbemerkt in dein Bett zu schlüpfen. Also, was ist? Darf ich reinkommen?“
„Ich weiß nicht“, antwortete Kristina. „Kann ich dir vertrauen?“
Marcus riss erstaunt die Augen auf. „Hast du immer noch Angst vor mir? Oder glaubst du, ich will dich verführen?“
Kristina zuckte mit den Schultern. Er hatte nicht ganz unrecht mit seiner Vermutung. Der Gedanke, ihm so nahe zu sein, und dann auch noch im Bett, behagte ihr nicht. „Ach was soll’s, komm rein, aber keine Annäherungsversuche, okay?“
Sie schlurfte zum Bett
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