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Das Blut der Unsterblichen

Das Blut der Unsterblichen

Titel: Das Blut der Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Saamer-Millman
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fest, während sie in den anthrazitfarbenen Phaeton stieg. Sie fragte nicht, wo er hinfahren würde. Sie war sich sicher, dass er wusste, wo er seine Beute erlegen konnte.
    Während der Fahrt blieben sie stumm. Hin und wieder warf Kristina ihm einen kurzen Blick zu, nur um sich anschließend schnell wieder abzuwenden. Noch immer konnte sie nicht glauben, dass er hier neben ihr saß. Einerseits war sie gehemmt, was vor allem daran lag, dass er so verdammt jung aussah, andererseits war er ihr noch immer vertraut, fast so, als wäre er nie fortgewesen.
    Marcus fuhr zu dem Wildpark, den sie oft mit Leila besucht hatte, als diese noch klein gewesen war. Sie waren spazieren gegangen, und Leila hatte die Rehe gefüttert und die Schafe und Ziegen gestreichelt.
    Sie griff nach dem Türöffner, als auch schon die Beifahrertür geöffnet wurde. Er lachte über ihr erstauntes Gesicht.
    „Es gibt jetzt keinen Grund mehr, mich zu verstecken.“
    „Ich bin mir nicht sicher, ob mir das gefällt“, erwiderte sie.
    Sie stieg aus und trat einen Schritt zur Seite, damit er die Wagentür schließen konnte. Nur wenige Zentimeter trennten sie voneinander. Marcus hielt inne und sah sie an. „Es könnte sein, dass du mich nach dem heutigen Abend verabscheust“, sagte er.
    „Warum glaubst du das?“
    „Wenn du siehst, wie ich jage, wie ich mich nähre, wirst du erkennen, dass ich kein Mensch bin.“
    „In meinen Augen bist du aber ein Mensch. Warum sollte sich das ändern, nur weil du das Blut von Rehen trinkst?“
    Er musterte sie mit diesem besonderen Blick, der ihr früher Schauer über den Rücken gejagt hatte. Ihr Herz fing an zu pochen. Unwillkürlich dachte sie daran, wie sich seine Lippen angefühlt und wie seine Küsse geschmeckt hatten. Die Erinnerung ließ sie erschauern.
    Er lächelte, als hätte er ihre Gedanken gelesen, legte die Arme um ihre Taille und zog sie zu sich heran. Langsam beugte er sich zu ihr hinab.
    Sie legte eine Hand auf seine Brust. „Marcus nicht. Ich kann das nicht.“
    Er hielt inne, offensichtlich enttäuscht. „Ich verstehe. Dann lass uns gehen.“
    Vor dem Eingang stoppten sie und betrachteten den hohen Zaun. „Wir haben zwei Möglichkeiten“, sagte er. „Entweder ich breche das Schloss auf oder wir springen über den Zaun.“
    „Der Zaun ist mindestens zwei Meter hoch, ich kann da unmöglich drüberklettern“, sagte Kristina.
    Ehe sie sich versah, riss Marcus sie von den Füßen und sprang mit ihr über die Absperrung. Sie schrie erschrocken auf, klammerte sich an seinen Hals und stand im nächsten Augenblick schon wieder auf dem Boden.
    „Hättest du mich nicht vorwarnen können?“, fauchte sie.
    Er lachte, griff nach ihrer Hand und zog sie weiter. Leise huschten sie über die mondbeschienene Lichtung Richtung Wald. Auf der Wiese standen Holzhütten mit Zäunen, aus denen Geräusche drangen. Leises Blöken und Scharren. Marcus spähte in den Wald hinein.
    „Ich sehe eine Herde Rehe“, wisperte er und deutete zum Waldrand hin.
    Kristina sah gar nichts. Erst beim Näherkommen entdeckte sie die Schatten, die sich zwischen den Bäumen bewegten, und hörte das leise Knacken, wenn die Rehe auf die am Boden liegenden Zweige traten. Die Herde hielt inne. Die Tiere hoben die Köpfe und spitzten die Ohren. Sie witterten die Gefahr. Marcus hielt den Finger an die Lippen und bedeutete ihr, anzuhalten. Dann rannte er davon. Einen Herzschlag später war er bei der Herde und schnappte sich das erstbeste Reh. Er umklammerte das Tier, warf es zu Boden und machte sich an seinem Hals zu schaffen. Das Reh zappelte noch ein paar Sekunden, doch das Gift in Marcus’ Speichel zeigte schnell Wirkung. Jede Gegenwehr erlahmte, der Körper erschlaffte. Mit einer verwirrenden Mischung aus Furcht, Ekel und Erregung, beobachtete Kristina, wie er am Hals des Tieres hing und trank.
    Es mutete so animalisch, so wild und gleichzeitig so brutal und unmenschlich an! Unvorstellbar, dass er das auch mit Menschen tat. Mit beunruhigender Klarheit erkannte sie, wie gefährlich Unsterbliche waren, wie gefährlich Marcus war, und dass sie allein war mit ihm, in der Nacht, fernab von ihrem Zuhause.
    Ein Schauer lief ihren Rücken hinab. Sie sah sich unauffällig um. Es war finster, trotz des fast vollen Mondes. Sollte sie lieber zum Wagen zurückkehren und sich verbarrikadieren?
    Marcus blickte auf und sah sie an. Sein Gesicht schimmerte hell, Feuchtigkeit glänzte auf seinen Lippen. Ihre Blicke trafen sich. „Fürchtest du

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