Das Blut der Unsterblichen
nie im Griff. Du weißt nicht, wie ich gelitten habe, wie ich immer noch leide. Seit Leila auf der Welt ist, kämpfe ich täglich um den Erhalt meiner geistigen Gesundheit.“
Während sie redete, wurde ihr plötzlich klar, wie sie sich entscheiden würde. Eigentlich war es nie eine Frage gewesen.
„Ich brauche ihn“, sagte sie leise. „Ich brauche ihn, wie die Luft zum Atmen, Frankie. Ich liebe diesen Mann einfach.“
Frank blieb abrupt stehen. „Das wusste ich nicht. Ich habe immer gedacht, dass du zufrieden bist. Wie kannst du ihn nach so langer Zeit noch lieben? Ein halbes Leben liegt zwischen euch? Und warum hast du nie darüber gesprochen? Mit mir oder mit deiner Psychologin?“
„Ach Frank, hör doch auf.“ Kristinas Stimme klang verbittert. „Damals, nachdem Leila geboren wurde, hat sich fast jeder von mir abgewandt. Das soll kein Vorwurf sein. Ich kann das verstehen, ich war unerträglich. Doch mit wem hätte ich denn noch reden sollen? Selbst der Psychologin gelang es nicht, mich aus meiner Endlosschleife aus Selbstmitleid und Verbitterung zu befreien. Im Grunde steht man als Mensch allein, das ist die Erkenntnis, die ich aus dem Geschehen gezogen habe. Und Marcus war der einzige Mann, der mir das Gefühl gegeben hat, nicht alleine zu sein.“
„Ich habe versucht, ihn zu ersetzen“, sagte Frank. „Ich habe es wirklich versucht.“
Kristina griff nach seiner Hand und drückte sie. „Ich weiß.“
Sie wandte sich ab und lief weiter. Frank folgte ihr.
„Im Grunde ist Marcus schuld an deinem Leid“, sagte er. „Wäre er nicht in dein Leben getreten, ginge es dir heute besser. Er hat dich zerstört.“
Kristina seufzte matt. „Wer weiß das schon so genau. Vielleicht würde es mir noch schlechter gehen.“
Frank legte einen Arm um ihre Schulter und zog sie zu sich heran. „Ich gönne dir dein Glück, aber ich traue dem Kerl nicht. Geh nicht mit ihm.“
Sie setzte zu einer Erwiderung an, doch ein vorbeihuschender Schatten erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie stutzte und spähte zwischen die Bäume, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken. Angestrengt lauschte sie auf die Geräusche des Waldes. Es raschelte und knackte und der Nieselregen tropfte von den Blättern.
„Hast du das gesehen?“, fragte sie.
„Was?“
„Da war irgendwas.“
„Wo?“, fragte Frank.
Kristina deutete in die Richtung. „Da oben ist etwas durch den Wald gehuscht.“
„Vielleicht ein Reh oder ein Fuchs. Hier huscht doch ständig irgendwas herum“, erwiderte Frank.
Ein paar Meter weiter sah sie es erneut. Etwas huschte durch den Wald, etwas Großes. Sie blieb stehen, kniff die Augen zusammen und starrte in den Wald. Sie verfluchte ihre Eitelkeit, der sie es zu verdanken hatte, dass sie wieder einmal nicht ihre Brille trug. Das Laub raschelte, gefolgt von einem lauten Knacken. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.
„Kristina, das sind nur Vögel oder irgendwelche Kleintiere, die durch das Unterholz hüpfen. Du tust ja so, als wäre jemand hinter dir her“, sagte Frank.
Kristina bereute es plötzlich, in den Wald gegangen zu sein. Marcus hatte sie gewarnt. Er hatte ihr gesagt, dass jemand oder etwas hinter ihr her war. Was, wenn dieser jemand sie nun gefunden hatte? Nervös ergriff sie Franks Arm. „Lass uns umkehren.“
„Da hab ich ganz und gar nichts dagegen. Ich bin sowieso nur dir zuliebe mitgegangen. Dein Wohnzimmer und eine gute Tasse Kaffee wären mir auf jedem Fall lieber.“
Sie wendeten und liefen zügigen Schrittes in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Hinter einer Biegung erblickte Kristina zwei Gestalten, die auf dem Waldweg standen. Ihr Herz setzte vor Schreck einen Schlag aus. Frank schien nicht sonderlich beunruhigt, für ihn waren es Spaziergänger wie sie. Doch Kristina wusste es besser. Das waren keine Spaziergänger. Sie sah es an der Art, wie die beiden dort standen und ihnen entgegen starrten. Feindselig und wachsam. Sie verlangsamte ihre Schritte und überlegte. Alles in ihr schrie danach, wegzurennen. Die beiden Gestalten blieben unbeeindruckt stehen und warteten.
„Wir drehen um“, zischte sie und zog Frank in die entgegengesetzte Richtung.
„Was ist denn los? Kennst du die beiden?“, fragte er.
„Nein, aber wir wollen ihnen ganz sicher nicht begegnen. Wir müssen hier weg und zwar schnell.“
Ein freudloses Lachen quoll aus ihrem Mund. Sie sprach wie Marcus vor siebzehn Jahren. Wir müssen weg hatte er damals gesagt und sie ernsthaft an seinem
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