Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen
und Hanska. Wakiya saß auf der verlorenen und wieder eingefangenen Stute mit einer zur Schau getragenen Selbstverständlichkeit wie ein routinierter Rodeoreiter bei der Parade. Hanska mit seinem zerschundenen, aber abheilenden Gesicht war in heller Aufregung, obgleich er sich nach außen hin zu mäßigen trachtete. Die Welt hatte sich für ihn verwandelt, denn er sah sie nur noch vom Pferderücken, und von was für einem Pferderücken! Joe hatte ihm die temperamentvollste der jungen Stuten gegeben, eine aus dem Zuchtstamm der Appalousa, der auf die wilden Mustangherden zur Zeit Tatanka-yotankas zurückgeführt wurde. Das Tier tänzelte voller Ungeduld und warf den Kopf. Hanska verbarg Wünsche in seinem Innern, die er sich selbst kaum einzugestehen wagte. Wenn Miss Eve Bilkins kommen und ihn sehen würde, dann mußten auch die festest gegründeten Schulgrundsätze dem Wiehern, Schnauben und Stampfen des Pferdes und dem heißen Begehren eines Bubenherzen weichen!
Wenn.
Joe überprüfte seine Schar mit einem letzten Feldherrnblick. Einer hinter dem andern hielten sie in einer langen Reihe: er selbst, Queenie, Bob, Wakiya, Hanska, Melitta, Mary - die Zwillinge verteilt, das Mädchen bei Queenie, der Bub bei Melitta auf dem Pferd - alles in Ordnung, und der einzige, der schon mit Sicherheit das werden konnte, was Joe unter einem Präriereiter verstand, war Hanska. Dieser Bub war ein Pferdemensch.
Joe setzte den Schecken in Bewegung, und die übrigen folgten.
Oben am Hang stand Untschida mit Rotadlermädchen. Die Großmutter blickte der Reiterschar nach, nicht weniger stolz als einst ihre Mutter den ausziehenden Jägern und Kriegern. Der Kleinen, die wieder genesen, aber noch schwach war, legte sie die Hand auf die Schulter, und das Kind schmiegte sich so vertrauend an ihre Schutzmutter, wie es einst der kranke Wakiya getan hatte.
Sobald die Reiterschar im Tal verschwunden war, ging Untschida mit Rotadlermädchen zu dem sonnenüberfluteten Friedhof und erzählte ihr, bei Adlerfederbündel und Krummstab sitzend, von dem Leben und den Taten des alten Häuptlings Inya-he-yukan, der hier seine Gedenkstätte gefunden hatte, als er die große Wanderung zu seinen Vätern und Vorvätern antrat. Rotadlermädchen lauschte und vergaß darüber den Rest des Kummers, daß sie nicht hatte mitreiten dürfen. Untschida aber dachte in Morgendämmerung und Sonne noch einmal an jene Tage, in denen sie für Inya-he-yukan den Alten und den Jungen das Zelt besorgt hatte. Eine kurze Zeit noch wollte sie bei Kindern und Enkeln weilen und sich freuen, wenn die schweren Kämpfe und Mühen doch endlich Frucht trugen. Dann kam auch für sie die Stunde heimzugehen, und sie würde diese Stunde wissen, wie der alte Inya-he-yukan die seine gewußt hatte.
Während sich die Reiterschar von King-Ranch, Booth-Ranch und Schulranch um die Stunde des Morgensterns versammelt und auf den Weg gemacht hatte, knarrten anderwärts erst die Betten unter den Regungen ihrer Inlieger, deren Schlaf gegen Morgen leichter und mehr von Träumen durchzogen war. So erging es Sidney Bighorn auf der Bettstatt in seinem Kämmerchen, das ihm Jimmy White Horse, der President, zur Verfügung gestellt hatte, als Sidney vom College zurückgekommen war und auf Jimmys Betreiben das Amt eines Anklägers von Stammes wegen beim Gericht übernommen hatte. Sidney hatte nicht an der Universität studiert, sondern nach zwölf Klassen Internatschule in einem zweijährigen College-Lehrgang erst die Universitätsreife erworben. Angesichts der Tatsache, daß der alte Gerichtspräsident nicht einmal die zwölfte Klasse gesehen hatte, bedeutete der Status Sidneys einen Fortschritt, in bezug auf Lebenserfahrung stand es dagegen beim Vergleich der beiden 100 : 0. Sidney schätzte daher eine Collegebildung sehr hoch, Erfahrung aber nur gering ein. Als der Morgen durch das kleine Schiebefenster blinkte, betrachtete Sidney das bunte Bettzeug und seinen gestreiften Schlafanzug in der Stimmung eines Mannes, dessen Genie zwar noch verkannt wird, der aber auf die Gerechtigkeit im Weltenlauf vertraut und daher weiß, daß er seine Fähigkeiten eines Tages zur Geltung bringen wird.
Nebenan, durch eine leichte Bretterwand getrennt, schnarchte Jimmy im Ehebett. Trotz aller Hochachtung und Dankbarkeit, die Sidney seinem Gönner in angemessenen Worten immer wieder zu bezeigen pflegte, konnte Sidney sich des Unangemessenen im Verhalten seines Oheims dritten Grades nicht verhehlen. Jimmy hatte wieder einmal
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