Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen
davon, aber Wakiya wußte es nun. Er dachte an Inya-he-yukan, der sicher den Mut zu einem solchen Opfer haben würde. Dann erzählte er der Mutter, wie das Volk Israel verfolgt worden war, und sie hörte ihm zu.
Die Weihnachtsferien gingen schnell vorüber. Wakiya quälte sich wieder über die lange Strecke zur Schule. Miss Lawrence gab noch die meisten Stunden in der Klasse. Aber Wakiya lernte auch einen neuen Lehrer kennen. Er hieß Ball und sprach überall, wo es angebracht oder auch unnütz war, von Geographie. Wakiya lernte begreifen, daß die Welt viel größer war, als er bisher geglaubt hatte. Das erschreckte ihn. Die Flecken, auf denen noch Indianer wohnten, waren in seinem Lande sehr klein. Was für gewaltige und tapfere Männer aber waren doch seine Vorväter gewesen! Wakiya verstand das nicht. Die Mutter konnte es ihm auch nicht recht erklären, und er weinte an einem Sonntag, an dem die Sonne über den Schnee schien, bittere Tränen an seinem einsamen Platz in der Prärie.
Die Mutter hatte von Wakiya erfahren, daß die meisten Kinder erst mit sechs Jahren in die Beginnerklasse kamen. Das hatte sie sich zunutze gemacht und den jüngeren Bruder noch nicht zur Schule angemeldet. Er mußte jetzt an Stelle von Wakiya Wasser holen gehen. Da er gesund und kräftig war, machte ihm dies nicht so viel Mühe. Wakiya hatte noch immer an seiner unheimlichen Krankheit zu leiden. Hin und wieder schüttelte es ihn auch auf seinem Schulweg, besonders wenn er müde und erschöpft nach Hause lief. Dann blieb er wohl in der Prärie liegen und kam erst des Nachts daheim an, oder die Mutter mußte ihn im Schnee suchen gehen und halb erfroren heimtragen. Aber einen sehr schweren Anfall hatte er seit dem Tage, an dem ihm zum erstenmal die Haare geschnitten worden waren, nicht mehr gehabt. Wakiya vermied es, daran zu denken.
Nur tief drinnen in ihm saß noch die Angst, daß sein Geist ihn eines Tages wieder so heftig niederwerfen könne wie an jenem Tage, den er nie vergaß.
Der Abschluß der ersten Klasse stand für Wakiya bevor. Der Winter, die ärgste Zeit für einen langen Schulweg, lag hinter ihm. Er durfte die schlechten Schuhe, die ihm schon zu klein geworden waren, ehe die Mutter neue kaufen konnte, endlich wieder ablegen und barfuß rennen. Es war Mai. Noch war es kühl, die Winde stürmten über die Prärie, es regnete, das neue Gras kam hervor, und weiße, blaue und gelbe Blumen blühten auf. Die Kakteen füllten sich mit Wasser, und die Kiefern kamen mit ihren ersten grünen Spitzen hervor.
Wakiya war nur wenig gewachsen und trotz des Mittagessens in der Schule noch sehr mager. Die Hose, nicht mehr neu, schlotterte ihm nach wie vor um den Körper. Er wußte, daß er trotz häufigen Fehlens in die zweite Klasse versetzt werden konnte. Aber es gab eine neue Angst für ihn. Zu oft geschah es jetzt schon, daß die Lehrerin englische Wörter gebrauchte, die er nicht verstand oder falsch schrieb. David konnte ihm nicht mehr helfen. Wakiya fürchtete sich vor der zweiten Klasse. Er mochte nicht daran denken, wie es ihm dort ergehen würde. Er zählte nur die Tage bis zu den Sommerferien, in denen er daheim bleiben durfte und kein Wort der Geistersprache hören mußte. Mehr als drei Monde währten die Ferien. So lange brauchte er die Schule nicht mehr zu sehen und konnte mit den Geschwistern spielen. Sie wuchsen heran und ließen sich schon gern von Wakiya Geschichten erzählen, die Geschichte vom Steinknaben, der alle Tiere getötet hatte, die er nur treffen konnte, und dafür zu Stein erstarrt im Wasser stehen mußte - die Geschichte von der Großen Bärin, deren Sohn ein Mensch wurde, als eines Nachts eine schöne Frau zu ihm kam, und dessen Kinder auch Wakiyas und seiner Geschwister Ahnen waren - die Geschichte von David, dem Knaben, der einen Riesen mit einem kleinen Stein getötet hatte. Wakiya und sein Bruder übten sich dann im Steinewerfen und wurden zielsicher.
Als der Unterricht in der ersten Klasse schon zu Ende gegangen war und die ersehnten Ferien anfingen, verketteten sich aber noch unvorhergesehene Ereignisse.
Mrs. Whirlwind, Susannes Mutter, war auf den Gedanken gekommen, am dritten Ferientag zwei Schulklassen zu einem Busausflug in die Agentursiedlung einzuladen. Sie war die Frau eines der wenigen erfolgreichen indianischen Rancher auf der Reservation und hatte Geld genug. Die Schule brauchte nichts zuzulegen. Die neue indianische Rektorin hatte nur die Genehmigung zu geben, und diese gab sie gern.
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