Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen
Wakiya erinnerte sich an die eigene Qual, die er mit dieser Sprache durchlitten hatte. Aber Pflegevater Joe Inya-he-yukan King und Pflegemutter Queenie Tashina King hatten ihm geholfen.
Nun saß in dieser Stunde schräg vor ihm das Mädchen, das zart war wie ein Halm, den der Wind bewegt. Ihre Haut war hellbraun wie eine reife Haselnuß. Sie beugte sich über ihr Heft. Ihre Hand schrieb langsam die Sätze, die von dem Lehrer erwartet wurden. Mr. Ball hatte den Schülern aufgegeben, von dem letzten Schulausflug zu berichten.
Wakiya Byron Bighorn hatte diesen Ausflug nicht mitgemacht, da er im vergangenen Schuljahr noch der fünften Klasse angehört hatte. Der Lehrer erlaubte ihm, sich einen Ausflug auszudenken. Wakiya dachte sich einen Ausflug aus, bei dem er im Bus neben jenem Mädchen saß. Aber davon schrieb er nichts. Es blieb sein Geheimnis. Er schrieb von den Bad Lands, dem zauberhaften Landstrich, in dem weder Gras noch Blumen wuchsen, und er schrieb von den Bergen, aus denen die weißen Männer seit einem Jahrhundert Gold hervorgruben. Er schrieb von dem Monument der vier Präsidenten, Washington, Lincoln, Jefferson, Roosevelt, das in einen Bergfelsen eingehauen war und über das Land schaute, das einst dem Indianer gehört hatte. Er schrieb von dem Denkmal des großen Häuptlings Cracy Horse Tashunka-witko, das die weißen Männer errichteten. Er schrieb auch, daß sie das Grab des Ermordeten nie gefunden hatten. Das alles beschrieb Wakiya-knaskiya, denn er hatte auf seiner Fahrt nach Canada alles selbst gesehen. Er beschrieb es dem Mädchen, das im Bus an seiner Seite saß. Sie schaute ihn mit großen Augen an, als ob sie aus seinem Munde etwas ganz Neues erfahre, das sie in ihr Gedächtnis einschreiben müsse.
So träumte Wakiya Byron Bighorn. Doch schräg vor ihm saß sie und schaute sich nicht nach ihm um, obgleich sein Blick auf ihrem schwarzen Haar lag und sie verzaubern wollte, sich umzusehen. Wakiya hatte scharfe Augen. Er erkannte drei Rechtschreibefehler in dem Aufsatz des Mädchens. Englisch zu schreiben war noch viel schwerer, als englisch zu sprechen, denn die Geister schrieben alles anders, als sie es aussprachen. Das war ein Geheimnis und ein Rätsel für Wakiya, das er noch nie hatte lösen können. Auch die Lehrer hatten dieses Geheimnis den Schülern nicht offenbart, und Wakiya scheute sich, danach zu fragen. Es war nicht verwunderlich, daß das Mädchen von der Schreibweise der Geister genarrt und hinters Licht geführt wurde. Sie war nicht dumm. Nein, das war sie gewiß nicht. Das war unmöglich. Sie hatte einen wohlgebildeten Kopf. Darin wohnte Klugheit. Sie schrieb sorgfältig und schön. Sie war fleißig und nachdenklich. Um ihre Lippen spielte Trauer.
Der Englischunterricht fiel in die vierte Stunde. Bis dahin hatte das Mädchen noch nie eine Antwort gegeben und war auch nicht aufgerufen worden. Wakiya kannte ihren Namen nicht.
Nach der vierten Stunde pflegten die Schüler zusammen in den Speisesaal der Tagesschule zu gehen und das Schulmittagessen einzunehmen.
Wakiyas Wangen und Ohren brannten, als er daran dachte, daß die vierte Stunde nur noch wenige Minuten währte.
Das Mädchen sah den eigenen Aufsatz noch einmal durch. Doch fand sie die drei Fehler nicht.
Die Hefte wurden abgegeben. Draußen schrillte die elektrische Klingel. Die Stunde war beendet.
Die Schüler bildeten eine Reihe, um zum Speisesaal zu gehen. Wakiya richtete es so ein, daß er unmittelbar hinter dem Mädchen ging. Sie mußte wohl ein Jahr älter sein als er, doch war sie um einen halben Kopf kleiner, noch schlanker als Wakiya. Sie lief leicht und aufrecht.
Beim Mittagessen gelang es Wakiya, den Platz ihr gegenüber zu besetzen. Die Kinder holten sich das Essen selbst. Heute gab es eine Tasse Suppe, Büffelfleisch, Gemüse, Kartoffeln, ein Glas Milch und roten Pudding. Es war das gleiche Menü, das einst Mutter Tashina in dieser Schule gegessen hatte.
Das Mädchen aß langsam, als ob sie keine Lust zum Essen habe, sondern nur eine Schulpflicht erfülle. In ihren Augen standen Tränen. Sie wollte sie verbergen, schluckte und senkte die Lider.
Wakiya-knaskiya durfte sie nicht nach ihrem Kummer fragen. Bei solcher Neugier hätte sie sich verächtlich von ihm abgewandt. Er konnte ihr aber einen Dienst erweisen. Da sie durch den Schleier ihrer Tränen undeutlich sah, warf sie ihr Glas Milch um, und das Weiße schwamm auf dem Tablett umher. Wakiya tauschte rasch mit seinem und brachte das ihre zu dem
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