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Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Titel: Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Blut würde fließen und altes Blut von der Erde wischen. So wußte es Wakiya.
    Die Sonne hatte das Blutrot ihrer morgendlichen Geburt abgelegt und strahlte in dem Glanz, vor dem der Mensch seine Augen senken muß. Wakiya schaute, was fern von ihm auf dem Kultplatz bei dem großen belaubten Baum und um die geheimnisvolle Hütte des Sonnenopfers vor sich ging. Der Baum war heilig. Im Innern seines Markes war die dunkle Stelle zu sehen, deren Form dem fünfzackigen Morgenstern glich. Schon kamen sie alle, und wer die alten Gewänder seiner Vorfahren noch besaß, der trug sie heute. Wer sie nicht mehr besaß, aber geschickte Hände hatte und die Alten ehren wollte, der trug neue Gewänder, die nach alter Art gefertigt waren. Bunt und schön war die Menge der braunhäutigen, schwarzhaarigen Menschen auf der gilbenden Wiese am Sonnentag.
    Die Geheimnismänner gingen zu der Hütte, um miteinander das Opfer vorzubereiten. Die drei jungen Männer, die es bringen wollten, hatten sich im Schwitzzelte gereinigt. Sie hatten nicht gegessen und nicht getrunken, sondern nur die Blätter des Tabaks für die Sonne geraucht. Ihre Gedanken irrten nicht ab, sie waren ganz auf das Kommende gerichtet.
    Wakiya war bei Inya-he-yukan. Noch trug >Stein hat Hörner< die hirschledernen Kleider seiner Vorfahren. Einem jungen Häuptling gleich stand er auf der roten, gelben, grauen Erde, und seine Füße gingen über das Gras, das die Büffel und die Mustangs gern geweidet hatten. Er war groß gewachsen und kräftig. Das Gewicht des Lederrocks spürte er kaum auf seinen Schultern.
    Gelb, rot und blau gestickt leuchteten Tipi und Sterne auf dem Rock.
    Inya-he-yukan war der Sohn der Prärie an einem großen Festtag. Aber seine schwarzen Haare waren kurz; auch er war den Geistern unterlegen wie sein ganzer stolzer Stamm. Die hellhäutige Faust lag auch ihm im Nacken. Aber gebeugt hatte sich sein Sinn noch nicht.
    Die Stunde kam, in der die drei Opfernden die Kleider ablegten und in die Hütte gingen.
    Die große Trommel wirbelte schon unaufhörlich, dumpf, mächtig, noch immer die Stimme dieses Landes und derer, die es zuerst besessen hatten. Die Sänger sangen die alten heiligen Lieder des Sonnentags. Schrill, vom Ohr nicht abzuwehren, packten sie jeden.
    Wakiya hörte sie. Er hatte zweierlei Ohren, äußere und innere, wie er auch zweierlei Augen besaß. Doch öffneten sich ihm die inneren Augen und die inneren Ohren nur dann, wenn er allein war und ganz bei dem, was er sehen und was er hören wollte. Heute störte ihn niemand.
    Die anderen, die vielen in den alten buntbestickten Gewändern, die jetzt um die Hütte aus Laub herumsaßen, durften nicht mit den Opfernden hineingehen. Wakiya aber ging mit.
    Er ging mit Inya-he-yukan und dessen beiden Gefährten.
    Der älteste und angesehenste der Geheimnismänner durchstach jedem der drei Opfernden die Brusthaut an zwei Stellen. Noch kam kein Blut hervor; das war die Kunst der Geheimnismänner. Jedem der drei Opfernden wurde an den durchstochenen Stellen je ein Stück eines kräftigen biegsamen Zweiges vom heiligen Laubbaum durchgezogen; die Enden waren an Lederriemen befestigt.
    Die Riemen waren die Strahlen der Sonne, die den Opfernden gepackt hielten. Er mußte sich unter Qualen davon losreißen.
    Jetzt floß das Blut.
    Das eigene Blut.
    Niemand durfte den Opfernden helfen, niemand sie berühren, ehe nicht der heilige Zweig ihr Fleisch durchgerissen hatte.
    Manche blieben lange von der Sonne gefangen.
    Wakiya war bei Inya-he-yukan. Er fühlte die Schmerzen. Sein eigener Körper zuckte. Er war ganz dabei. Kein anderer konnte Inya-he-yukan jetzt so nahe sein wie Wakiya, das einsame Kind in der einsamen Prärie.
    Die Klöppel wirbelten auf die Trommel, die Stimmen der Sänger schrillten.
    Große Sonne! Gib deine Opfer wieder frei!
    Inya-he-yukan stürzte, blutbesudelt von der Brust bis über die Knie, fahl, seiner selbst fast nicht mehr mächtig. Sein Fleisch war durchgerissen.
    Auch seine beiden Gefährten wurden frei und sanken auf dem Boden zusammen.
    Das Opfer war vollzogen.
    Die Trommeln wirbelten, die Stimmen der Sänger schrillten. Es ging dem Abend zu.
    Selbst ihr Blut im roten Lichte verströmend, ging die Sonne zu der Unterwelt, wo sie ihre Macht verlor. Aber das Opferblut gab ihr die Kraft zurück, so daß sie des Morgens in neuem Glanze aufzutauchen vermochte.
    Das hatten die Ahnen vor langer, langer Zeit gesagt. Jetzt sprachen die Geheimnismänner anders. Das Blut entsühne den Menschen.

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