Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen
da.«
Wakiya wartete wieder.
»Mach, was du willst. Aber das Geschlecht der Inya-he-yukan wird von bösen Geistern verfolgt.«
Mehr sagte die Mutter nicht, und Wakiya war zu aufgeregt und zu verschüchtert, um noch etwas zu fragen. Inya-he-yukan war in das Haus der Bighorns gekommen, Wakiya aber hatte ihn nicht gesehen!
Am nächsten Morgen hatte der Bub seinen Weg zur Schule angetreten. Es war ihm schlecht, und er erbrach das Brot, das die Mutter ihm zu essen gegeben hatte. Die Zeit wurde knapp, und Wakiya lief fast den ganzen Weg im Dauerlauf. In der Seite fühlte er Stiche.
Er wollte in der neuen Klasse nicht gleich zu spät kommen. Darum gab er nicht nach.
Seine Lunge lechzte nach Luft; er öffnete den Mund und rannte, aber nun klopfte das Herz noch schneller.
Endlich kam das Schulhaus in Sicht. Der Schulbus war schon leer; die Kinder waren bereits ausgestiegen und eingeströmt. Wakiya lief ganz allein über den großen Platz auf die große Tür zu, und er war sehr klein. Er hätte hören können, daß ein Pferd stampfte, und sehen können, daß Inya-he-yukan den Schecken an einem Baum festmachte. Doch sah Wakiya das nicht, denn seine Augen waren ganz auf seinen Weg über den großen freien Platz zu der großen drohenden Tür gerichtet, die sich wundern mochte, wer hier noch so spät und so allein herbeirannte.
Wakiya schlüpfte hinein; er keuchte noch. Durch leere Gänge hastete er zu seinem alten Klassenzimmer. Er öffnete zaghaft die Tür, schon gewärtig, von einer strengen Lehrerin streng empfangen zu werden und zu der Schande des Sitzenbleibens noch die Schande des Zuspätkommens zu häufen.
Doch war keine Lehrerin anwesend.
Wakiya klinkte die Tür sehr leise hinter sich ein. Die ihm fremde Klasse schaute nach ihm. Alle saßen sie schon an ihren Plätzen, Buben und Mädchen, schwarzhaarig, dunkeläugig. Alle saßen sie ganz still da. Sie hatten wohl erwartet, daß die Lehrerin eintreten werde. Vielleicht wußten einige schon, daß die Rektorin selbst die erste Stunde in englischer Literatur geben würde. Aber nun war nicht die Rektorin hereingekommen, sondern Wakiya.
Die Schüler saßen vorläufig an den Plätzen, die sie in der zweiten Klasse innegehabt hatten. Wakiyas gewohnter Platz war besetzt. In den beiden letzten Reihen waren noch Plätze frei, aber Wakiya traute sich nicht, einen davon einzunehmen. Er blieb bei der Tür stehen und wagte nicht einmal, sich an die Wand anzulehnen. Sein Herz klopfte noch; sein Kopf fühlte sich leer an. Aber er war wenigstens nicht zu spät gekommen.
Die Kinder schauten nicht mehr offen nach ihm. Sie beobachteten ihn verstohlen.
Die Lehrerin kam noch immer nicht.
Wakiya packte neues Entsetzen. Wenn jetzt seine Krankheit über ihn kam? Solange nicht einmal eine Lehrerin da war? Die Kinder würden sich grauen und schreien, und er würde am Boden liegen, den Kopf aufschlagen und nichts mehr von sich wissen.
Die Angst trieb sein Herz immer weiter an, so daß er sich von dem langen, schnellen Lauf nicht erholen konnte. Er sah schon alles vor sich, wie es kommen würde...
Wakiya, der Sitzenbleiber, eine kümmerliche, schmal aufgeschossene Gestalt mit einer wiederum zu weiten Hose, barfüßig, in schlechtem Hemd, stand bei der Tür. Es wollte ihm schwindlig werden. Er starrte auf den Boden, um die Kinder nicht zu sehen, die ihn heimlich musterten. Auf dem Gang waren Schritte zu hören.
Die Kinder setzten sich alle sehr gerade hin, bereit, sofort aufzustehen, wenn die Tür sich öffnen würde und die Lehrerin hereinkam.
Die Tür ging auf.
Die Geräusche des Aufstehens von mehr als dreißig Kindern rauschten durch den Raum.
Dann trat die Totenstille des unverbrüchlichen Gehorsams ein.
Wakiya schaute noch nicht auf. Vielleicht war Miss Gish da.
Es waren aber zwei Menschen hereingekommen. Der zweite war ein Mann. Sein Schritt war leichter als der der Frau. Wakiya schaute auf die Füße der Eintretenden.
Er kannte den etwas langen Rock und die braunen Schuhe der Rektorin.
Der Mann trug schwarze Hosen und schwarze niedrige Stulpenstiefel von weichem Leder. Solche Schuhe waren teuer.
Die Bilder und Gedanken schossen wirr durch Wakiyas Kopf. Wer würde hier die Schande eines Sitzenbleibers mitansehen? Wer?
Wakiya krampfte sich zusammen.
Eine Hand legte sich schützend auf seine Schulter. Wakiya überkam das Gefühl, daß er fester stehen könnte. Eine Stimme sprach. Wakiya kannte sie. Sie klang dunkel und gut.
»Komm, Wakiya. Du bist hier nicht in der
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