Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen
wollte.
Wakiya dachte nicht mehr an den Wagen, der sanft und fast lautlos über den Rücken der plattgetretenen Schlange glitt. Wakiya dachte an den alten Geheimnismann zurück, an die Nacht, in der die Toten aufstehen und die Büffel wiederkommen sollten und doch nicht wiedergekommen waren. Er dachte an den Vater und an Tashunka-witko, die nicht auferstanden waren. Damals hatte die Krankheit Wakiya zum erstenmal heftig überfallen.
Plötzlich hatte Wakiya ein Gesicht. Es überwältigte ihn. Er sah auf den hartgrasigen Weiden, in den schrägen Strahlen der sinkenden Sonne - Büffel. Er hörte ihr Brüllen zu Füßen der weißen Felsen. Das Gesicht packte ihn mit solcher Gewalt, daß er seine Kinderhand fragend und hilfesuchend auf das Handgelenk des Fahrers legte. Inya-he-yukan fuhr langsamer und wandte sich dem Buben zu.
»Wakiya-knaskiya?«
»Inya-he-yukan - siehst du - sehen deine Augen - die Büffel auch?«
»Ich sehe sie auch, Wakiya.«
»Hörst du sie brüllen, Inya-he-yukan?«
»Der Büffelstier brüllt, Wakiya.«
Inya-he-yukan bremste. Der Wagen hielt in ruhigem Auslauf. Durch das Tal erscholl das dumpfe mächtige Gebrüll noch einmal.
Wakiya wagte kaum mehr zu sprechen.
»Inya-he-yukan - sind sie - sind sie - wiedergekommen?«
»Wir gehen zu ihnen hin, Wakiya.«
Inya-he-yukan fuhr den Wagen zur Seite. Die beiden stiegen aus.
Inya-he-yukan nahm Wakiya auf den Arm und sprang mit ihm über einen elektrisch geladenen Zaun. Dann gingen sie miteinander Hand in Hand über die holprigen Weiden.
Sie kamen den Büffeln näher, und das Bild der machtvollen dunklen Tiere wurde immer deutlicher. Der Büffelstier hatte aufgehört zu brüllen. Er äugte nach dem Mann und nach dem Kind.
Hinter ihm, wohlbeschützt, grasten vier Kühe und zwei hellfarbene stelzbeinige Kälber.
Inya-he-yukan blieb mit Wakiya zusammen stehen.
»Näher gehen wir nicht. Sieh ihn dir genau an.«
Was für ein prachtvolles Tier! Dunkel die mächtige Mähne, unter der die Büffelaugen hervorspähten. Kurz die Hörner; damit konnte keiner hebeln. Hoch der Widerrist hinter dem Nacken, in dem die Kraft wohnte.
Leise ging die Schwanzquaste hin und her.
Die Kühe grasten, aber der Stier äugte abwartend.
»Büffel sind gefährlich, Wakiya. Ich habe mein Pferd und die Peitsche nicht dabei. Wir gehen wieder. Wenn wir aber nun heimkommen, wirst du vor einem alten Mann stehen und das Messer sehen, mit dem er in seiner Jugend einen solchen Stier getötet hat. Hau. Mit meinem Stilett würde ich das weniger gern versuchen.«
Wakiya machte an der Hand Inya-he-yukans kehrt, und die beiden gingen zu dem Wagen zurück.
»Inya-he-yukan!«
»Wakiya-knaskiya?«
»Werden die Büffel - die Büffel - sind sie - die Büffel - sind sie -?« »Frage nur!« »Bleiben sie da?«
»Sie sind lebendig, Wakiya. Auf diesen Wiesen kannst du sie immer finden, Tag und Nacht, wenn du willst. Sie sind wieder da, und sie gehen nicht mehr weg. Sie bleiben.«
»Hast du gebetet, Inya-he-yukan?«
Inya-he-yukan antwortete nicht gleich. Wakiya wartete. Er konnte nicht wissen, welche Wege die Gedanken des Mannes jetzt liefen und wann sie zu Wakiyas Frage zurückkommen würden. Inya-he-yukan blieb ernst, und Wakiya blieb geduldig.
»Gearbeitet habe ich, Wakiya. Es war ein hartes Stück, bis wir die Büffel hier hatten. Ich habe sie geholt, weither aus der Prärie von einer anderen Ranch. Der Stier wollte uns beim Ausladen angreifen.
Mit Peitschen und Lassos waren wir hinter ihm her - das ist mehr gewesen als ein Rodeo. Aber nun sind sie da, die Büffel.«
»Deine Büffel?«
»Meine Büffel - unsere Büffel.« Wakiya atmete tief.
Im Wagen fuhr er mit Inya-he-yukan von der Straße weg einen schmalen, furchenreichen Wiesenweg aufwärts an dem Hang, der den weißen Felsen gegenüberlag.
Vor einem rechteckigen Blockhaus mit einer Tür und einem kleinen Fenster hielt Inya-he-yukan. Neben dem Blockhaus war ein altes büffelledernes Zelt aufgeschlagen; seine Wände waren mit großen Vierecken gezeichnet, dem Symbol der vier Weltecken, aus denen die heiligen Winde kamen.
Wakiya trat wiederum in ein neues Leben ein. Tag um Tag würden ihn nun die Augen, die er wiedergefunden hatte, behüten. Er war nicht mehr zu wenig. Er war Inya-he-yukans Wahlsohn geworden und Inya-he-yukans und Tashinas beide Kinder würden seine jüngeren Geschwister sein.
Byron Bighorn
I n der ersten Zeit war Wakiya-knaskiya wie ein neugeborenes Kind, das nicht nachdenkt oder träumt, sondern
Weitere Kostenlose Bücher