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Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Titel: Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Wand gelehnt. Er war mager und blaß. Sein Kopf war geschoren, ein breiter Klebeverband lief über den Schädel von einem Ohr zum andern; die Haut, die sich um die Backenknochen spannte, war blutunterlaufen. Die beiden Polizisten hatten sich rechts und links des Gefangenen postiert und auch im Raum die Handschellen nicht aufgeschlossen.
    Crazy Eagle nahm das Wort. »Nun, Byron Bighorn, sage deinem Wahlvater, was du Mary und ihre Eltern hast miteinander sprechen hören.«
    Wakiya blickte auf Inya-he-yukan, aber dieser sah ihn nicht an, sondern hielt die Lider gesenkt. Dem Buben krampfte sich die Kehle zusammen, seine Lippen waren trocken, doch er schluckte und begann klar zu sprechen. Alles, was er seinem Lehrer Ball diktiert hatte, wiederholte er deutlich und ohne Fehler.
    Crazy Eagle hörte aufmerksam zu.
    Als Wakiya geendet hatte, der Gefangene aber auch jetzt mit keinem Wort und keiner Miene reagierte, fragte der Richter: »Haben Sie verstanden?«
    Joe nickte.
    »Haben Sie noch Fragen?«
    Joe schüttelte den Kopf.
    »Haben Sie noch irgendwelche Wünsche?«
    »Ja.« Die Stimme klang merkwürdig, als ob Joes Zunge sich nur schwer in Gang setze. »Ich will dem Buben etwas sagen.«
    »Sprechen Sie.«
    Joe löste sich von der Wand. Er stand frei.
    »Wakiya-knaskiya Byron Bighorn, ich habe gelesen, was Mister Ball aufgeschrieben hat, und habe jetzt angehört, was du vorbringst. Du kannst trotzdem noch einmal selbst alles aufschreiben, was du Lehrer Ball erzählt und was du mir hier berichtet hast; du kannst das sogleich tun und mir das Selbstgeschriebene mitgeben, wenn Richter Crazy Eagle es erlaubt. Ich habe das Wiederaufnahmeverfahren beantragt, und ich bestehe darauf, auch wenn es nur damit endet, daß sie mich noch einmal und vielleicht noch ungerechter und härter verurteilen. Du mußt dich aber rüsten und du mußt tapfer sein, Wakiya, wenn du hören wirst, daß die Männer dir nicht glauben, weil du ein Kind bist, und wenn du mich dann zum letztenmal siehst. Sie werden mich heute noch in den Kerker zurückbringen. Wenn ich dort lange bleibe, werde ich sterben müssen. Ich sage dir, daß ich unschuldig sterbe. Nicht ich habe zuerst geschossen, ich habe mich nur gewehrt, als die andern mir meine Pferde gestohlen hatten und mich töten wollten. Das ist die Wahrheit. Ich habe gesprochen, hau. Willst du mich noch etwas fragen?«
    »Ja, Inya-he-yukan. Wie denkst du über Mary Booth? Wie wird sie handeln - als Indianerin?«
    »Wakiya, auch vor einem Indianer kann eine schwere Frage stehen: Die Eltern oder die Wahrheit? Beide sind ihm heilig.«
    »Inya-he-yukan, wenn die Eltern selbst die Wahrheit sagen, stehen Gehorsam und Wahrheit nicht mehr gegeneinander, sondern fügen sich wieder zusammen. Unsere Ahnen haben geglaubt, daß der sterben soll, der lügt.«
    »Du bist hart gegen den alten Isaac, Wakiya. Er hatte seinen Sohn auf seine eigene Weise gerichtet, aber er will das Andenken seines Sohnes nicht von anderen richten lassen.«
    »So ist es, Inya-he-yukan, doch ist es ganz und gar falsch. - Darf ich dich noch etwas fragen?«
    »Frage.«
    »Du bist am Kopf verwundet. Wer hat dich angegriffen?«
    Der Gefangene zögerte und schaute auf den blinden Richter. »Richter, erlauben Sie, daß ich die Frage Byron Bighorns beantworte?«
    »Ja.«
    Die Polizisten schienen mit der Entscheidung Crazy Eagles nicht einverstanden zu sein; sie verständigten sich mit unzufriedenen Blicken, die Wakiya nicht entgingen, und sie schauten auf die Uhr. Die halbe Stunde war jedoch noch lange nicht abgelaufen, und sie hatten keine Handhabe, die Entscheidung des Stammesrichters anzufechten.
    »So werde ich dir berichten, Wakiya«, sagte Joe und ein Zucken um seine Mundwinkel verriet, daß auch er das Gehabe der Polizisten beobachtet hatte, »werde dir Dinge berichten, die du kennen mußt, wenn du einmal Rechtsanwalt werden willst, und Sie, Richter Crazy Eagle, sollen das alles auch erfahren, wenn Sie es noch nicht wissen.«
    Der Gefangene wankte.
    »Stehen Sie doch ruhig«, sagte der größere der beiden Polizisten.
    Im Raum befand sich nur ein einziger Hocker; Crazy Eagle dachte an Joes Kopfverletzung, von der er gehört hatte; vielleicht litt dieser noch an den Nachwehen einer Gehirnerschütterung. Er erlaubte dem Häftling, sich zu setzen, aber Joe nahm diese Art der Erleichterung, die ihn vor dem Richter bevorzugt hätte, nicht an, sondern trat nur an die Wand zurück, um sich wieder anzulehnen. Seine Sprechweise blieb klar, er sprach

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