Das Blut Des Daemons
abrang –, und füreine Sekunde hatte ich den Eindruck, als widerstand er nur schwer dem Wunsch, irgendetwas gegen die nächste Wand zu pfeffern.
Beim Anblick der Fernbedienung auf dem Glastisch wurde mir dann endgültig … anders. Nein, ich hatte keine Lust auf diese Nachmittagstalkshows, in denen Leute sich gegenseitig beschuldigten fremdzugehen und sich irgendwann vor einer johlenden Menge kreischend in den Haaren hingen, oder Mütter ihren Töchtern vorwarfen, ihre Kinder – beziehungsweise Enkelkinder – wahlweise zu vernachlässigen oder zu unerträglichen Snobs zu erziehen. Und dass um diese Uhrzeit etwas anderes lief, war kaum anzunehmen.
»Steht das Angebot mit dem Schachspielen noch?«, fragte ich.
»Natürlich.« Klang da Erleichterung mit? Nun ja, hatte ich ernsthaft angenommen, dass Julien sich für so etwas interessieren würde? Wohl kaum.
Er holte das Spiel und baute es routiniert auf. Weiß – und damit der erste Zug – wie stets für mich und Rot für ihn. Den Tisch hatte er so nah an das Sofa herangerückt, dass ich nur den Arm ausstrecken musste, um das Brett mit seinen weißen und roten Quadraten zu erreichen. Und wenn ich mich ein wenig vorbeugte, könnte ich auch die Figuren auf der gegenüberliegenden Seite ziehen. Bewundernd nahm ich einen Springer in die Hand. Er war aus matt glänzendem Stein und überraschend schwer. Selbst kleinste Details wie Zaumzeug und Mähne oder der Harnisch des Reiters waren herausgearbeitet und man sah ihm an, dass er oft benutzt worden sein musste.
»Es war auf dem Dachboden. In einer der Kisten, in der auch die Tagebücher deiner Mutter waren. Auf dem Verschluss sind die Initialen A. T. A. und ein B.«, sagte Julien gedämpft und setzte sich mir gegenüber.
A. T. A. Die Initialen meines Vaters – Alexej Tepjani Andrejew. Er war derjenige, dem ich meine Lamia-Hälfte verdankte. Das B. stand mit ziemlicher Sicherheit für ›Basarab‹, seine – oder besser unsere – Blutlinie. Leicht beklommen stellte ich das Pferd auf sein Feld zurück. Mit den Kisten dort oben hatte ich mich auch noch den einen oder anderen Nachmittag beschäftigen wollen, um mehr über ihn und meine Mutter zu erfahren. Doch ich hatte bisher keine Zeit dazu gefunden. Dabei wusste ich so gut wie nichts über sie, nachdem Onkel Samuel mich mein ganzes Leben das Lügenmärchen hatte glauben lassen, sie seien kurz nach meiner Geburt bei einem Raubüberfall in New York getötet worden. Tatsächlich hatte er sie ermordet. – Wenn man es genau nahm, konnte ich noch nicht einmal sicher sein, ob das wenige, was ich wusste, wirklich der Wahrheit entsprach oder auch nur eine weitere Lüge war.
Ich atmete einmal tief durch und machte meinen ersten Zug. Früher hatte ich mir einiges darauf eingebildet, was mir Simon – mein letzter Leibwächter, Chauffeur und Mädchen für alles in meinem alten Zuhause – beim Spiel der Könige beigebracht hatte. Julien hatte meine Selbsteinschätzung gehörig zurechtgerückt. Ich verstand allerdings genug vom Schach, um zu erkennen, dass mein Freund für seine Verhältnisse sehr verhalten und wenig aggressiv spielte. Vielmehr hatte ich den Eindruck, dass er die Partie mit Absicht in die Länge zog. Er baute mir Fallen – in die ich in neun von zehn Fällen auch prompt hineintappte –, ließ mir aber immer die Chance, mit den richtigen Zügen noch einmal daraus zu entkommen. Nur um in die nächste hineinzustolpern. Ich war selbst erstaunt, wie viel Spaß mir dieses Katz-und-Maus-Spiel machte, das er mit mir trieb.
Jenseits des Verandadaches hing der Nieselregen wie ein grauer Schleier.
Wir waren bei unserer dritten Partie – meiner zweiten Revanche –, als Juliens Handy lossummte. Ich registrierte mit Genugtuung, dass er bei dem plötzlichen Geräusch beinah ebenso zusammenzuckte wie ich, so sehr war er in unser Spiel vertieft.
Er sah auf das Display, runzelte die Stirn und ging ran. Sein »Ja« klang sehr kühl und distanziert. Die Linie zwischen seinen Brauen vertiefte sich und er formte lautlos ›Vlad‹. Ich schob die Hände zwischen die Knie. Nachdem er mir damals Bastien als meinen ersten Heiratskandidaten angekündigt hatte – und auch die letzten rechtlichen Punkte bezüglich meines Erbes und der Vormundschaft bis zu meinem achtzehnten Geburtstag geklärt waren –, war mein Großonkel Vlad nach Paris zurückgekehrt und hatte mich in der Obhut meines Vourdranj-Leibwächters Adrien Du Cranier zurückgelassen. – Nicht, dass er nicht
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