Das Blut des Mondes (German Edition)
Augen. Ich versuchte, mich aus ihrem Griff zu befreien, ich wollte nur weg, aber sie ließ mich nicht los. Sie packte mich nur noch fester. Ich öffnete den Mund und wollte schreien, aber es kam kein Ton raus.“
„Und dann?“ Levian stockte der Atem.
„Dann wachte ich auf. Und lag weinend in den Armen von meiner Mom. Ich hatte geschrien und sie war gekommen, um mich von meinem Albtraum zu erlösen. Danach konnte ich lange Zeit nur mit Licht einschlafen. Und dann irgendwann habe ich es geschafft, den Traum zu verdrängen. Bis heute.“ Levian drückte Ann an sich und merkte, wie sie zitterte.
„Ann. Du kannst, nein anders – wir können nur froh sein, dass ich diesmal dabei war und die Verbindung unterbrechen konnte.“
„Verbindung?“ Ann sah ihn erschrocken an.
„Entschuldige, ich wollte dir keine Angst machen, wirklich nicht. Es ist nur … ja, ich weiß, was du da unten gesehen hast. Und du hast es schon damals gesehen. Und das ist ja das Schlimme. Es ist immer noch offen. Das Portal zur anderen Welt ist noch da und es ist noch offen. Hätte ich die Verbindung nicht gekappt – sie hätten dich hineinziehen können.“
„Was? Nee, also jetzt mal halblang. Also ich glaube ja wirklich viel. Das Ric verflucht ist, habe ich so hingenommen. Das du unsterblich bist habe ich dir auch abgenommen. Auch, dass mit Dionne etwas ganz gewaltig nicht stimmt und sie immer mehr zu einer Hexe mutiert. Aber dass dieses Portal mich hätte hineinziehen können, obwohl ich nicht einmal wirklich in der Nähe war …? Ich bitte dich Levian! Das ist doch wohl nicht dein Ernst!“ Empört funkelte sie ihn an. „Du erwartest nicht allen Ernstes, dass ich dir das glaube, oder?“ Abwartend saß sie neben ihm.
„Damals war es deine Mutter, die die Verbindung gekappt hat. Diesmal war ich es.“ Mehr sagte er nicht. Mehr brauchte es seiner Meinung nach auch nicht. Für ihn war klar, dass Ann tiefer mit der Geschichte verwachsen war, als er bis eben gedacht hatte.
„Oh. Mein. Gott.“ Theatralisch ließ sie sich zur Seite weg fallen, bis sie mit der Nase im Sand lag. Und dann lachte sie. Und lachte. Und lachte.
Levian konnte ihr das nicht verübeln. Es war ja auch wirklich alles ein bisschen viel auf einmal. Sie hatte selbst aufgezählt, was sie in den letzten Tagen erfahren hatte und einfach so glauben musste. Doch es brachte auch nichts, ihr zu verschweigen, was er über das Portal wusste. Zumal sie eine Verbindung zu ihm besaß und es selbst mit eigenen Augen gesehen hatte. Nur – warum ausgerechnet sie?
Er wartete, bis Ann sich wieder beruhigt hatte, bevor er einfach weitersprach, als wäre nichts gewesen.
„Das Portal existiert schon sehr lange. Es ist der Durchgang zur anderen Welt, wie ich bereits sagte. Die andere Welt …“ Er hörte Ann murmeln:
„Welche andere Welt?“
„Vielleicht kennst Du die Sage der Sirenen?“
Sie hatte sich mittlerweile zu ihm herum gedreht, lag aber immer noch im Sand. Stumm schüttelte sie den Kopf. Levian sprach weiter.
„Die Sirenen sind weibliche Wassergeister. Sie leben im Meer, mit Vorliebe an Quellen, und haben nur das Eine im Kopf – sie locken mit ihrem überaus lieblichen Gesang die Schiffer an, um sie zu töten. Das ist die wahre Geschichte, die hinter der Wächterin steckt, Ann. Aber sie ist nicht offiziell. Daher spricht niemand darüber.“
Ann setzte sich auf. „Weibliche Wassergeister, die Seeleute mit ihrem Gesang anziehen, um sie zu töten? Habe ich das richtig verstanden?“
„Ja, das hast du richtig verstanden“, bestätigte Levian.
„Oh wow. Erzähl weiter.“ Ann beugte sich näher zu ihm.
„Der Leuchtturm wurde um das neunzehnte Jahrhundert herum errichtet, aber die eigentliche Geschichte der Wächterin reicht noch viel weiter zurück. In den Zeiten der Kolonialkriege, in denen die Engländer in Maine um das Land der Indianer kämpften, verbündeten sich die Quoddys mit den Franzosen, meinem Volk. Sie kämpften nicht nur für ihr Land, sondern auch gegen die Schlachtung der Wale.
Um die Indianer vom Stamm der Passamoquoddy, die schon seit Jahrhunderten in dieser Gegend angesiedelt waren, gab es eine Legende. Die Legende der Wächterwale . Sie erzählt von dem Pakt mit den Walen, den Hütern des Portals.
Schon zu damaliger Zeit war den Quaddys bekannt, dass der Gezeitenstrudel nicht einfach nur ein Strudel war, sondern sich in ihm das Portal zur anderen Welt befand. Die bösen Wassergeister, auch Sirenen genannt, die in dieser anderen Welt
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