Das Blut des Teufels
Vor ihnen lag ein Schacht der Finsternis. Obgleich Sam erleichtert war, die Flucht aus der einstürzenden Pyramide geschafft zu haben, konnte er Bruder de Almagros Warnung nicht vergessen: Die Schlange von Eden … möge sie nie gestört werden.
Sam deutete in Richtung der schwarzen Höhlen. »Also los!«
Der Weg durch den Fels so war eng, dass sie ihn im Gänsemarsch passieren mussten. Ralph übernahm die Führung, Sam bildete die Nachhut. Die Enge gab ihm das Gefühl, vom Stein zerdrückt zu werden. An einer Stelle mussten sie sich seitlich durchquetschen, eingezwängt zwischen zwei Granitwänden. Gleich darauf hörten sie das lauter werdende Geräusch fließenden Wassers und augenblicklich wurde Sams Durst noch größer. Seine Zunge war wie ausgetrocknet.
Vorne rief Ralph: »Ich glaube, er öffnet sich gleich. Kommt!«
Sam eilte weiter und wäre Maggie fast in die Hacken getreten. Sie hatten sich jetzt fast eine Stunde durch den engen Gang gewunden. Schließlich spürte er einen leisen Lufthauch. An dessen Ende lag ein großer, offener Raum, der sie dazu verlockte, ihren Schritt zu beschleunigen.
Endlich wurde der Durchgang breiter. Sie konnten jetzt nebeneinander gehen. Ralph, den anderen stets einen Schritt voraus, hielt eine der Taschenlampen in Händen. »Da vorn ist was«, murmelte er.
Sie wurden langsamer, als sie sich dem Ende des Durchgangs näherten. Ralph hob seine Lampe. »Das ist unglaublich!«, keuchte er.
Sam pflichtete ihm bei. Die anderen standen schweigend neben ihm. Vor ihnen lag eine offene Kammer, eine Höhle, in deren Boden sich ein Fluss eingeschnitten hatte. Doch nicht das löste die verblüfften Reaktionen aus. Säulen verbanden den Boden mit der Decke, die über die ganze Länge hinweg mit aufwändigen Bildern und seltsamen Kreaturen bedeckt waren. In den Stein eingebettetes Silber reflektierte das Licht der Taschenlampen – Augen tausender eingeschnitzter Gestalten, Wächter aus einer uralten Welt.
Ralph senkte die Lampe. »Seht mal!« Über den Boden der dunklen Höhle wand sich ein Pfad aus gediegenem Gold von der Mündung des Durchgangs zu dem schäumenden Fluss hinüber und folgte dessen Lauf tiefer in das Labyrinth der Höhlen hinein.
»Unfassbar«, meinte Sam.
Ralph neben ihm sagte: »Die andere Kammer muss eine Scheinanlage gewesen sein, eine Falle, die das schützen sollte, was vor uns liegt.«
Zögernd setzte Sam einen Stiefel auf den goldenen Pfad. »Aber was haben wir entdeckt?«
Maggie trat neben ihn und Norman schoss einige Fotos. »Wir haben einen Rastplatz gefunden. Und das reicht jetzt erst mal.«
Die anderen murmelten ihre Zustimmung. Durst und Erschöpfung waren allmählich überwältigender als Wunder und Geheimnisse.
Sogar Sam war einverstanden. Die Geheimnisse konnten bis morgen warten. Dennoch – während die anderen den gewundenen goldenen Pfad zum Fluss hinabgingen, sprang Sam förmlich ins Auge, wie sehr der leuchtende Weg einer sich windenden Schlange ähnelte.
Einer goldenen Schlange.
Henry saß an seinem Laptop und sah auf dem Bildschirm, wie sich die Internet-Verbindung von Knotenpunkt zu Knotenpunkt aufbaute, wobei das Modem im Takt summte und klingelte. »Komm schon, Sam, nimm das verdammte Telefon ab!«, brummte er in sich hinein. Mindestens zum zehnten Mal versuchte er, das Lager in Peru zu erreichen.
Verschiedene Szenarien spulten sich in seinem Kopf ab – von der stinknormalen einer Unterbrechung in der Stromversorgung der Satellitenschüssel bis hin zu der erschreckenderen eines bewaffneten Plündererüberfalls auf das Lager. »Ich hätte den Tempel nicht verlassen sollen.«
Henry warf einen Blick auf die Uhr in der rechten oberen Ecke des Bildschirms. Es war nach elf. Er atmete tief ein, um seine überreizten Nerven zu beruhigen. Es mochte sogar einen noch einfacheren Grund für die ausbleibende Antwort geben. Der Diebstahl sowie der anschließende Papierkram bei der Hotelwache hatte Henry einiges an Zeit gekostet, sodass er erst mit über zwanzig Minuten Verspätung hatte anrufen können. Vielleicht hatten ihn die Studenten für heute abgeschrieben und lagen bereits tief und fest schlafend auf ihren Feldbetten.
Dennoch wartete Henry ein letztes Mal ab, dass sich die Verbindung nach Peru aufbaute. Das Symbol dafür, dass er den Satelliten erreicht hatte, tauchte auf dem Bildschirm auf. Also sprang das Signal zu der metallenen Schüssel in den Anden hinüber. Henry hielt den Atem an. Aber wieder nichts. Wieder keine Verbindung.
»Verdammt!«
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