Das Blut-Skelett
Skizzen noch so überdeutlich präsentiert waren. Das Buch war für ihn ein kleines Wunder. Er liebte es. Er wußte, daß es sein Leben beeinflussen würde und auch schon beeinflußt hatte.
Er las Texte, er schaute sich die Abbildungen an. Er sah die Seiten mit den Knochen, auf denen beschrieben stand, wie man das Skelett genau zusammensetzen mußte. Alles war haarklein beschrieben, und Warlock hatte es unzählige Male schon gelesen und sich die wichtigsten Dinge eingeprägt.
Dennoch nahm er es immer wieder zur Hand, denn er wollte auf keinen Fall einen Fehler begehen. Wenn er nur etwas falsch machte, einen Knochen in einem falschen Winkel ablegte, dann war alles verloren, die Arbeit umsonst. Deshalb kam es genau in dieser Nacht darauf an, daß er nicht den geringsten Fehler beging.
Er blätterte nicht nur um, er sprach auch mit sich selbst. Es flossen geflüsterte Worte aus seinem Mund, als er gewisse Textstellen im Buch zitierte. Jedes Wort mußte genau betont werden. Wenn er da nur etwas falsch machte, war die gesamte Arbeit gefährdet.
So interessant das Buch und sein Inhalt auch waren, die Blicke des Mannes blieben immer wieder auf einer Gestalt kleben.
Es war der Schwarze Tod!
Seine Gestalt verteilte sich auf einer Seite. Es war ein dunkles Skelett, das, obwohl es nicht größer war als alle anderen Zeichnungen, doch so wirkte.
Es beherrschte die Seite. Es war das Omega des Buches. Das Ende und damit der Erfolg.
»Ja«, flüsterte Warlock vor sich hin. »Lange hat es gedauert. Jahre sogar, aber nun bin ich fertig. Nun werde ich dich wieder erschaffen, und du wirst mir, deinem Meister, dankbar sein. Dr. Frankenstein hat einen Menschen erschaffen und sich damit einen Traum erfüllt. Mich aber gibt es wirklich. Ich bin niemand, der von einem Gehirn erschaffen worden ist, und ich werde nicht nur einen Menschen erschaffen, sondern jemand, der schon einmal gelebt hat in einer fernen, sehr fernen Zeit, als die Erde noch anders aussah als heute.«
Mit einer heftigen Bewegung stand er auf. Das Buch nahm er mit und ging bis zum unteren Rand der Decke. Dort legte er das Buch aufgeschlagen auf den Boden. Auf der Seite rechts war die Gestalt des Schwarzen Tods abgebildet, auf der linken war das Papier mit einem dicht beschriebenen Text bedruckt.
Er fand es perfekt, und es fehlte nur der Kopf, auf dem die Farbe längst getrocknet sein mußte.
Warlock ging hin. Er berührte den Skelett-Schädel zuerst mit den Fingerspitzen und war zufrieden, als keine Farbe mehr an seiner Haut kleben blieb.
Er hob den Schädel wieder behutsam an. Mit beiden Händen hielt er ihn fest und hütete sich davor, zu stark gegen das Material zu drücken. Er wollte es auf keinen Fall zerstören und wollte auch nicht, daß es vielleicht Risse bekam.
Warlock war wie von einem Fieber erfüllt. Er mußte sich schon hart zusammenreißen, um nicht zu zittern. Jetzt, da er sich dicht am Ziel seiner Träume befand, reagierte er einfach so, das war menschlich. Obwohl er sich nicht wie ein Mensch fühlte, sondern wie jemand, der den Menschen überlegen war.
Warlock ging mit sorgfältig gesetzten Schritten um die Decke herum und blieb an der oberen Seite stehen. Der Kopf fehlte noch zur völligen Perfektion.
Warlock drückte sich in die Knie. Es ging sehr langsam. Auch jetzt hatte er Mühe, das Zittern zu unterdrücken. Er war einfach überwältigt und stellte schließlich den Schädel genau an der Stelle ab, an der er abgestellt werden mußte.
Stehend paßte er nicht zum Gesamtbild des Skeletts. Er mußte ihn schon kippen, was er auch mit langsamen Bewegungen tat. Der Schädel blieb auf seinem Hinterkopf liegen.
Er lag jetzt auch im vollen Licht und gab genau den gleichen Glanz ab wie die übrigen Knochen.
Die Verbindung war fertig. Vor ihm auf dem Boden lag ein perfektes Skelett.
Kein Mensch auf der Welt hätte zufriedener sein können als er. Das war ihm auch anzusehen. In seinem Gesicht zuckte die Haut auf den Wangen. Er hielt den Mund offen, er flüsterte und sprach dabei mit sich selbst, wobei er hin und wieder den Kopf schüttelte wie jemand, der seine eigene Tat nicht fassen konnte und trotz der langen Vorbereitungszeit noch so nervös war.
Er ging wieder um die ausgebreitete Decke herum. In wenigen Minuten würde er wissen, ob er alles richtig gemacht hatte, aber zuvor mußte er noch etwas tun.
Vorsichtig schob er die Hälften des Vorhangs zur Seite und erweiterte den Spalt. Zwar vertraute Warlock seinen Leuten, Kontrolle jedoch war
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