Das Blut Von Brooklyn
sich einem Zirkus anzuschließen. Ausgerechnet einem Zirkus.
– Es ist kein Zirkus, Moische, sondern eine Freakshow.
Er wendet sich Stretch zu.
– Habe ich dir nicht gesagt, du sollst ruhig sein und zuhören, Abe? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst es zumindest versuchen? Das habe ich gesagt. Ich bin mir sicher, dass ich das gesagt habe.
Stretch seufzt tief, lehnt den Kopf gegen die Lehne der Bank und schließt die Augen.
– Prima, ich höre. Sag einfach Bescheid, wenn du mit dem Scheiß hier fertig bist, damit ich und die Mädels endlich abhauen können.
Der Junge kommt mit einer der beiden Lucys zurück, die uns durch die Gegend chauffiert haben. Sie ist eine große Frau mit dunklem Teint und dunklem Haar, das fast völlig von einem Schal verdeckt wird. Sie trägt ein einfaches langes Kleid und eine Bluse ähnlich denen, in die sie Harm und Vendetta gesteckt haben. Sie riecht gesund und lebendig – das Einzige, das hier nicht nach dem Vyrus stinkt. Ich habe so viel Blut verloren, dass mir das Wasser im Mund zusammenläuft.
Sie geht zu Moishe.
– Rebbe.
Er legt seine Hand auf ihre Wange.
– Rachel.
Er sieht mich an.
– Dieses Mädchen ist ein wahrer Schatz. Ihr Glaube an Gott ist rein.
– Und der Glaube an Euch, Rebbe.
– Pssst, Unsinn. Es ist eine Sünde, so etwas überhaupt auszusprechen.
– Verzeiht, Rebbe.
Er lächelt.
– Das muss dir nicht leid tun. Ich habe einen Scherz gemacht. Dich geärgert. Was für ein gutes Mädchen. Sie versteht mich. Rachel war eine Frau Jakobs. Genau wie Leah, wissen Sie? Die Mütter der zwölf Stämme.
Er entblößt den Unterarm des Mädchens, der über und über mit Narben und weißen Schnittmalen bedeckt ist.
– Dieses Wort, das mein Sohn benutzt hat, Lucy, es ist respektlos. Auch die Frauen gehören zu unserem Stamm. Sie bringen ein Opfer dar, um ihr Blut frisch zu halten. Ein großes Opfer. Aber ist dieses Blut auch koscher?
Er lächelt.
– Diese Frauen haben noch nie ein Schwein gesehen, geschweige denn einen Teil davon gegessen.
Er küsst ihre Stirn.
– Gesegnet, rein und genährt wie ordentliche Jüdinnen. Nur solches Blut ist gut genug für uns. Sie ist natürlich nicht die einzige Quelle. Trotzdem, es gibt nicht genug von ihrer Sorte. Wir sind gezwungen zu jagen, sogar in Bensonhurst, Borough Park und Bay Ridge. Doch nur Frauen wie sie können uns die Sicherheit geben, dass das Blut wirklich koscher ist. Weil sie koscher leben. Wir haben Blut gekauft. Natürlich haben wir Blut gekauft. Aber dieser Markt ist so unsicher, nicht wahr? Man weiß nie, was man bekommt, ja? Nicht alle, die uns etwas zu verkaufen haben, begreifen, wie wichtig das für uns ist. Rachel ist ein Geschenk Gottes. Eine wahre Tochter Benjamins.
Er setzt sie zu Lydia auf die Bank.
– Der Stamm Benjamin, der Stamm unserer Väter, wurde einst verflucht, ja? Wussten Sie das?
Ich rutsche herum, damit ich ihm ins Gesicht sehen kann.
– Himmelherrgott, nein.
Er lässt den Kopf sinken.
– Was soll ich dazu sagen? Außer, dass Sie sehr unhöflich sind? Sie sind sehr unhöflich.
– Stimmt schon. Aber ich kann’s nun mal nicht lassen.
– Ja, das überrascht mich nicht. Also. Benjamin ist verflucht. Der ganze Stamm ist verflucht. Es ist eine Geschichte aus der Bibel. Eine wohlbekannte Geschichte.
Mit dem Messer schneidet er tief in Rachels Haut. Sie keucht, als er ihren Arm gegen Lydias Mund drückt. Lydias Lippen schließen sich um die offene Wunde, und sie beginnt zu saugen wie ein Baby an der Mutterbrust.
Ich zucke zusammen, als der Blutgeruch die Luft erfüllt. Schweiß steht auf meiner Stirn, und ich spüre eine kleine Erektion in der Hose. Während ich Lydia beobachte, überlege ich, ob ich mich von den Riemen befreien, die Wunde in Rachels Arm aufreißen und mir so viel Blut in die Kehle schütten soll, bis ich kotzen muss.
Der Rebbe legt eine Hand auf Lydias Hals und ertastet die Schluckbewegungen.
– Nicht zu viel, Rachel. Nur so viel, wie sie braucht.
Rachel hat die Augen geschlossen.
– Ich gebe Euch alles, was ich geben kann, Rebbe.
Er sieht mich an, dann seinen Sohn, die Jungs, Stretch, Vendetta und Harm.
– Hört, was sie sagt. Es ist sehr lehrreich. Die Geschichte, die ich vorhin erwähnt habe, stammt aus dem Buch der Richter, Kapitel neunzehn, zwanzig und einundzwanzig. Ein Mann ist zusammen mit seiner Nebenfrau auf Reisen. In der Stadt Gibea im Lande der Benjaminiten finden sie kein Quartier. Niemand will sie beherbergen. Alle Türen sind
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