Das Blut Von Brooklyn
Er bemerkt den verbeulten Kotflügel am Auto seiner Frau. Dann betrachtet er seinen Sohn und reibt sich mit dem Handrücken über die Stirn.
Axler öffnet den Mund.
Sein Vater hebt die Hand.
– Nein. Nicht jetzt.
Er deutet auf Stretch und mich.
– Bedeckt ihre Köpfe und bringt sie in den Tempel.
Er mustert noch einmal den Kotflügel und schüttelt den Kopf.
– Ausgerechnet der Wagen eurer Mutter.
Harm ist bereits im Tempel. Sie sitzt mit einem knöchellangen Kleid, einer weiten Bluse und einem Kopftuch bekleidet steif auf einer Bank. Vendettas Kopf liegt in ihrem Schoß. Ihre bereits heilenden Knochen sind wieder unter der Haut verschwunden.
Ich hocke bei den Männern auf der anderen Seite des Mittelgangs und schüttle den Kopf, weil es unter dem kleinen kreisförmigen Lederstück, das sie mir ins Haar geklemmt haben, fürchterlich juckt.
Ich wende mich an einen der jungen Männer, die mich in ihre Mitte genommen haben.
– Kumpel, könntest du mir mal den Kopf kratzen?
Er sieht seinen Freund an. Der zuckt mit den Schultern. Dann blickt er zum Altar, wo Axler und sein Vater vor dem Toraschrein miteinander flüstern.
– Rebbe?
Axlers Vater dreht sich um.
– Ja?
– Er will, dass ich ihm den Kopf kratze.
Der Rebbe tippt auf seinen eigenen Kopf.
– Ein Mann, dessen Hände gebunden sind, verspürt ein Jucken am Kopf und bittet dich, ihn zu kratzen. Brauchst du einen Rebbe, der dir sagt, was du tun sollst?
Die Hand des Jungen nähert sich meinem Kopf. Dann zögert er und sieht wieder den Rebbe an.
Der Rebbe wirft die Arme zum Himmel.
– Kratz ihn. Befreie den Mann von seiner Pein.
Der Junge kratzt mir den Kopf.
Der Rebbe beobachtet ihn dabei.
– Sie sind aus Manhattan?
Mein Kopf juckt nicht mehr, und ich ziehe ihn unter der Hand des Jungen hervor.
– Ja.
Axler tritt zu seinem Vater und fängt wieder an zu flüstern. Sein Vater scheucht ihn weg.
– Axler, ich rede gerade mit diesem Mann. Wo genau aus Manhattan?
– Er gehört zur Koalition.
Der Rebbe sieht Stretch an.
– Habe ich dich gefragt?
– Das musst du gar nicht, ich erzähl’s dir auch so. Ich bin nämlich der Einzige hier, der weiß, wo der Kerl herkommt.
– Bis auf den Kerl selbst natürlich.
Stretch grunzt.
– Aber der wird’s dir nicht sagen. Vor allem wird er dir nicht sagen, dass er von der Koalition ist und was er hier will.
Der Rebbe geht den Gang hinunter und bleibt vor meiner Bank stehen.
– Die Koalition. Stimmt das?
Ich sage nichts.
– Haben Sie meine Frage nicht verstanden?
Ich rutsche herum und versuche, trotz meiner gefesselten Hände und Füße eine Sitzposition zu finden, bei der das Loch in meinem Oberschenkel nicht schmerzt, meine Rippen nicht gegeneinanderreiben oder mein Gesicht wehtut.
– Verzeihung. Ich hatte gerade so was wie ein Déjà-vu.
– Das hier kommt Ihnen bekannt vor? Der Tempel? Wir?
– Nein, aber vermöbelt und gefesselt zu werden und zuzuhören, wie irgendein Arschloch versucht, mir was anzuhängen. Das kommt mir verdammt bekannt vor. Diese Scheiße hab ich schon mal mitgemacht, ob Sie’s glauben oder nicht.
Er tippt einem meiner Banknachbarn auf die Schulter. Der Junge steht auf, und der Rebbe nimmt seinen Platz ein.
– Sie gehören also nicht zur Koalition?
– Scheiße, das wird er dir bestimmt nicht verraten!
Der Rebbe droht Stretch mit dem Zeigefinger.
– Soll ich dich wieder knebeln lassen? Nein? Dann halt den Mund. Was meine Schwester nur an dir gefunden hat. So viel Gerede, ohne auch nur einmal zuzuhören. Ein Zwerg! Ich könnte eigentlich stolz auf sie sein, dass sie deinen Zwergwuchs ignoriert und dich trotz dieser Schwäche geliebt hat. Aber dieses Gerede, dieses ständige Fluchen, ohne dass du einem anderen Menschen mal Gehör schenkst, das enttäuscht mich zutiefst.
– Leck mich, Moishe.
Der Rebbe sieht mich an.
– Hören Sie sich das an. Dieses Mundwerk, egal, ob mit oder ohne diese grotesken Zähne, hielt meine Schwester, Gott hab sie selig, für witzig. Sie dachte, er wäre schlau. Ist es schlau, Leck mich zu sagen? Zeugt das von Witz und Verstand?
Ich sehe erst Stretch, dann den Rebbe an.
– Das interessiert mich nicht die Bohne. Ihr könnt mich mal.
Er spitzt die Lippen, bedeckt sie mit seiner Faust und nickt.
– Ja, Sie sind aus Manhattan. Das höre ich an Ihrer Ausdrucksweise und Ihrem Akzent. Aber vor allem ist es Ihre Einstellung. Mit so einer Einstellung würde es mich nicht wundern, wenn Sie tatsächlich von der
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