Das Blut Von Brooklyn
gesagt habe, dass es in Ordnung geht. Dass die Sünde nicht so groß ist, wenn die Frauen fahren und wir auf Schusswaffen verzichten. Ich habe Selig umgebracht, Papa.
– Psssst. Pst.
Er hält den Kopf seines Sohnes und sieht mich und Lydia an.
– Das macht der Krieg aus uns, ja? Unsere Überzeugungen, unsere Liebe, alles wird auf die Probe gestellt. Nur auf zwei Arten können wir etwas über uns selbst herausfinden. Durch den Krieg. Und durch die Liebe.
Er legt eine Hand unter das Kinn seines Sohnes, hebt sein Gesicht und sieht ihn an. Tränen ziehen helle Furchen auf den blutverschmierten Wangen des Jungen.
– Mein Sohn hat soeben gelernt, dass er nicht so stark ist, wie er geglaubt hat.
Er wirft Lydia einen Blick zu.
– Genau wie Sie.
Axler schluchzt und hustet.
– Es tut mir leid, Papa.
Moishe schüttelt den Kopf.
– Nein, sag das nicht mir. Sag es Gott. Bei Gott musst du um Verzeihung bitten. Bitte Gott jetzt um Verzeihung.
Axler nickt, schließt die Augen und fängt an zu flüstern.
Der Rebbe sieht auf ihn herab.
– Heute Nacht begreifst du nicht nur, dass du schwach im Krieg bist. Du bist auch stark in der Liebe, der Liebe zu deinen Freunden. Sie ist so groß, dass du nicht lügen kannst. Als es an der Zeit war, war deine Liebe zu stark, um die Lüge aufrechtzuerhalten. Zu stark, um die Wahrheit zu verdrängen, ja?
Er fährt mit den Fingern durch das Haar seines Sohnes und rückt die Kippa zurecht.
– Es ist die Natur der Liebe, uns zur Wahrheit zu führen. Uns zu zeigen, wie wir wirklich fühlen und was wir begehren.
Er sieht zur Decke auf.
– Wir müssen nur die Augen öffnen, dann sehen wir, was die Liebe von uns verlangt.
Er zieht das Messer aus dem Gürtel, reißt den Kopf seines Sohns nach hinten und rammt ihm das Messer in den Hals. Auf dieselbe Weise, auf die Axler seinen Freund ermordet hat. Ein tödlicher Hieb, den er zweifellos von seinem Vater gelernt hat.
Ich will gerade aufspringen, den Kopf des Rebbe packen, ihm den Hals umdrehen und Lydia aus diesem Irrenhaus schleppen, als die anderen Jungs zurückkommen. Diesen Plan muss ich wohl vorerst auf Eis legen.
– Unser Stamm hat große Opfer gebracht. Vier Söhne Benjamins. Alle mit dem Blut Gibeas in ihren Adern. Alle in einer Nacht getötet. Und auch Abe. Wir dürfen Abe nicht vergessen, ja? Er war kein Benjaminit, doch er trug Gibea in sich. Und er zeugte zwei Frauen, die stark genug sind, um selbst Gibea in sich zu tragen. Das ist sehr selten. Hier, hebt ihn auf.
Er wickelt ein Leichentuch um den Körper seines Sohnes und bedeutet zwei Jungs, ihn aufzuheben, nach vorne zu tragen und vor den Altar zu legen.
Ein weiterer Junge kommt wie befohlen mit einem großen Eimer Seifenwasser und ein paar Putzlumpen zurück und stellt alles an die Stelle, auf die der Rebbe deutet.
– Dahin. Nein, lass stehen. Ihr alle, setzt euch bitte. Und schweigt einen Augenblick. Wenn das nicht zu viel verlangt ist. Danke.
Die Jungs hocken sich auf die hinterste Bank.
Rebbe Moishe nimmt einen Lumpen, taucht ihn in das Wasser und fängt an, das Blut seines Sohnes und seines Schwagers aufzuwischen.
– Jetzt sind die Frauen noch wichtiger als zuvor. Die Töchter ihrer Mutter. Die Töchter Abes. Wir brauchen sie, weil sie in der Lage sind, wahrhaftige Söhne und Töchter Benjamins auszutragen. Sie sind von guter Herkunft. Mit Glück schenkt uns eine einen Jungen, der das Blut Gibeas in sich tragen kann. Vielleicht sogar beide.
Er wringt den Lappen aus. Rote Flüssigkeit tropft in den Eimer.
– Aber das ist Ihnen egal, ja? Sie interessieren sich nicht für unsere Probleme. Dies ist es, was unser Leben ausmacht, eine Stammesfolge aufrechtzuerhalten, die älter ist als Jesus Christus und Moses. Doch was bedeutet Ihnen das? Nichts. Sie sind nur an einer Frage interessiert: Koalition oder Society. Was haben diese Leute mit uns vor?, fragen Sie sich.
Er wischt den Boden der Synagoge.
– Was hier geschieht, hier auf unserem Land, in Neu-Gibea, geht nur uns etwas an, sonst niemanden. Wenn manche von jenen, die das Blut Gibeas in sich tragen, nicht hierbleiben wollen, dann sollen sie gehen. Vorausgesetzt, sie versuchen nicht wie Abe, unsere Töchter mit sich zu nehmen. Meinetwegen, sollen sie ziehen. Aber Fremde hierher bringen, das ist eine andere Sache. Darauf folgt nur Verwirrung und Chaos.
Er breitet die Arme aus. Der Lappen tropft.
– Chaos. Krieg. Tod.
Er wringt den Lappen wieder aus und beugt sich vor, um weiterzuwischen.
–
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