Das Blut von Magenza
auszumachen. Auf ihrer Brust lag das aufgeschlagene Gebetbuch, aber es sah nicht so aus, als hätte sie viel darin gelesen. Ihr Gesicht war eingefallen und ein verhärmter Zug hatte sich während der letzten Tage um ihren Mund eingegraben, der sie älter erscheinen ließ. Conrad konnte ihre Einsamkeit regelrecht spüren. Als sie ihn hörte, schlug sie die Augen auf und er erschrak über deren Leblosigkeit.
„Conrad, wie schön, dass du gekommen bist“, empfing sie ihn und über ihr Gesicht huschte ein Lächeln, das an ihre frühere Schönheit erinnerte.
„Wie fühlst du dich?“, fragte er, während er einen Stuhl heranzog.
„Es ging mir schon besser. Wenn man so alleine ist, kommen einem die seltsamsten Gedanken, die einem aufs Gemüt drücken.“
„Das glaube ich dir. Aber sie dürfen nicht anfangen, dich zu beherrschen. Denk an etwas, was du gerne tust oder magst. Das vertreibt die bösen Geister.“
„Du hast leicht reden. Aber ein Tag ist lang, wenn die Ansprache fehlt und man nichts tun kann.“
„Sollen wir zusammen beten?“
„Das tue ich zur Genüge. Berichte mir lieber, was in derStadt geschieht. Ich fühle mich so ausgeschlossen.“
Conrad überlegte, ob er ihr von dem Mord erzählen sollte oder ob er ihn besser verschwieg, damit sie sich nicht unnötig aufregte. Schließlich entschied er sich dafür. Auch wenn ihr Ruhe verordnet worden war, musste deshalb nicht gleich alles von ihr ferngehalten werden. Würde sie später davon erfahren, wäre sie ihm bestimmt böse, weil er ihr die Neuigkeit vorenthalten hatte. „Letzte Nacht wurde im Schwanen ein Mann getötet.“
Reinhedis setzte sich etwas auf. „Davon weiß ich ja gar nichts! Sprich“, forderte sie ihn auf und ein flackerndes Funkeln trat in ihre Augen.
Nachdem er ihr alles haarklein berichtet hatte, wirkte sie zufriedener. „Alle denken, sie müssten mich schonen, dabei bekomme ich doch nur ein Kind.“
„Ich kann dich gut verstehen und werde dich besuchen, wann immer ich kann. Willst du noch die Beichte ablegen?“
„Nein. Wie sollte ich auch in meinem Zustand sündigen?“, antwortete sie schnell, obwohl ihr Herz alles andere als rein war.
„Bedrückt dich vielleicht etwas anderes?“, hakte er nach.
Diesmal kam ihr Nein zögerlicher. Auch wenn sie etwas zu belasten schien, verspürte sie nicht den Wunsch, sich ihm anzuvertrauen.
„Es ist spät und ich muss gehen“, sagte Conrad und stand auf.
Während er das Gemach verließ, spürte er Reinhedis‘ betrübte Blicke in seinem Rücken, aber im Moment konnte er nicht mehr für sie tun. Er schlug den Weg zu Gerhards Schreibzimmer ein. Doch als er vor der Tür stand, hörte er Stimmen und machte kehrt. So wichtig war seineErkenntnis auch nicht, dass er ihn deshalb stören musste.
Gerhard hatte Conrad längst vergessen, denn Griseldis war unvermutet aufgetaucht. Sie hatte ihn so erschreckt, dass er beinah den Kiel fallen ließ, als er seine Unterschrift unter einen Brief setzen wollte. „Wieso schleichst du dich an wie eine Diebin? Du hast mir einen gehörigen Schrecken eingejagt! Meines Wissens waren wir heute nicht verabredet!“, meinte er ungehalten.
„Ich habe mich nicht angeschlichen, du hast mich nur nicht gehört. Und es tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe, aber ich muss dich unbedingt sprechen. Es geht um diesen Mord im Schwanen.“
„Gibt es denn kein anderes Gesprächsthema mehr? Wo ich hinkomme, werde ich danach gefragt“, seufzte Gerhard.
„Im Augenblick wohl nicht. Weißt du schon Genaueres?“
„Warum interessiert dich das überhaupt? Dir kann doch gleichgültig sein, was geredet wird.“
„Bitte“, bettelte sie und Gerhard gab nach.
„Also gut, es ist kein Geheimnis, dass der Tote ein Mann namens Wolff ist und höchstwahrscheinlich Bruder Anselm tötete. Wolffs Mörder wiederum kann von keinem der anderen Gäste beschrieben werden, deshalb wird er wohl ungeschoren davonkommen. Ich könnte zwar Nachforschungen anstellen, aber ich weiß nicht, ob sich die Mühe lohnt.“
„Dann lässt du es also bleiben?“, fragte sie lauernd.
„Ich verspreche mir nicht viel davon, denn es lässt sich bestimmt nicht mehr herausfinden, als Burckhart und Hanno bereits ermittelt haben. Wolff war ein Fremder und ein Dieb. Die Bürger von Mainz können eigentlich froh sein, dass sie ihn los sind.“
Griseldis seufzte erleichtert auf, was Gerhard nicht entging.Er hätte sie gern gefragt, warum sie sich so sehr dafür interessierte, aber er kannte sie
Weitere Kostenlose Bücher