Das Blut von Magenza
Lombarde.
„Hoffentlich behältst du nicht recht!“, meinte Widukind und arbeitete weiter.
Gegen Mittag schaute er zufällig auf den Platz zwischen Liebfrauenkirche und Dom. In diesem Moment trat Conrad aus der Kirche. Er war lange mit Hanno unterwegs gewesen und erst seit gestern wieder hier. Erfreut, seinen Freund wohlbehalten wiederzusehen, rief Widukind laut seinen Namen. Doch sein Rufen ging im Lärm der Baustelle unter.
„Ich bin gleich wieder da“, sagte er zu Geronimo und kletterte geschmeidig wie eine Katze das Gerüst hinunter. Mit großen Schritten rannte er hinter Conrad her und holte ihn bald ein.
Auch Conrad freute sich, wirkte aber ungewöhnlich müde. Widukind hatte den Eindruck, dass er an Gewicht verloren hatte und neue Falten auf seiner Stirn hinzugekommen waren.
„Entschuldige, dass ich dich so überfalle, aber ich muss unbedingt mit dir sprechen. Es ist äußerst wichtig. Wann hast du Zeit für mich?“
Conrad seufzte. „Im Augenblick ist es schwierig, derErzbischof nimmt mich den ganzen Tag über in Anspruch und das bleibt in nächster Zeit auch so. Am besten du redest jetzt.“
„Ich brauche deine Unterstützung, aber du darfst niemandem etwas verraten. Mehrere Leben hängen davon ab“, flüsterte Widukind verschwörerisch.
„Um wessen Leben geht es, dass du so geheimnisvoll tust?“
Widukind wich ihm aus. „Es handelt sich um Freunde, die du nicht kennst. Sie benötigen ein Versteck, in dem sie absolut sicher sind, falls die Kreuzfahrer nach Mainz kommen sollten.“
Conrad brauchte nicht lange, um zu erraten, um wen es dabei ging. „Hältst du mich für einen so schlechten Freund, dass du dich nicht traust, mir zu sagen, wer diese Freunde sind?“
„Nein“, sagte Widukind beschämt, „verzeih mir. Ich spreche von Sara, meiner jüdischen Nachbarin, Rachel, ihrer Mutter, und Isaac, ihrem Bruder.“
„Es sind also Juden, denen ich helfen soll. Warum sagst du das nicht gleich?“, fragte Conrad und wartete eine Antwort nicht ab. „Aber du hast recht, sie brauchen möglicherweise wirklich bald Hilfe.“
Demnach wusste Conrad mehr als Widukind lieb sein konnte. „Was hast du unterwegs erfahren?“, fragte er ihn.
„Schlimme Dinge. Eine große Bedrohung rückt heran. Ruthard rüstet sich und benötigt mich deshalb noch mehr als üblich. Trotzdem werde ich mir Gedanken machen und mich nach Möglichkeiten umschauen, wo wir sie unterbringen können. Sag ihnen, dass ihnen geholfen wird, aber ich weiß noch nicht wann. Sorg dafür, dass sie vorbereitet sind, denn es kann mitten in der Nacht sein, wenn wir sie in Sicherheit bringen.“
„Vielen Dank, Conrad, auf dich ist eben Verlass“, meinte Widukind, doch der Mönch hatte seine letzten Worte nicht mehr gehört, sondern war längst davongeeilt.
Freitag, 2. Mai 1096, 7. Iyyar 4856
Vor Speyer
Eine wachsende Zahl Kreuzfahrer schlug vor Speyer ihr Lager auf. Während sich das einfache Fußvolk erschöpft auf den nackten Boden legte um auszuruhen, versammelten sich die ritterlichen Anführer, um sich zu besprechen. Die Probleme mit der Versorgung der Truppe wuchsen und sie benötigten dringend Nahrung, sonst drohte die Stimmung im Heer umzuschlagen. Ihr voreiliger Aufbruch im Winter hatte sich als besonders ungünstig erwiesen, denn die Vorräte des letzten Jahres waren fast überall aufgebraucht und die neue Ernte noch längst nicht eingebracht. Da der Zustrom der Pilger aber unvermindert anhielt, galt es immer mehr Mäuler zu stopfen.
Die Landstriche, die sie passiert hatten, waren ausgeblutet und lieferten denjenigen, die ihnen folgten, nichts Essbares mehr. Besaß ein Landherr oder ein Bauer doch noch etwas Nahrung, war er nicht bereit, sie zu teilen, oder verlangte horrende Summen dafür. So gab es immer wieder Auseinandersetzungen, die oft tödlich endeten.
Die Ritter sahen sich mit ihrer Aufgabe überfordert, denn dieser Kampf, in den sie zogen, war ganz anders als all’ ihre Schlachten zuvor. Niemals hatten sie einen weiteren Weg in Kauf nehmen müssen, um überhaupt bis ans Schlachtfeld zu gelangen. Aber sie waren bereit, alle Mühsal auf sich zu nehmen, denn dieser Krieg war ein heiliger und wurde im Namen des Herrn geführt. Ihr Glaube an die Göttlichkeit dieser Wallfahrt verband sie mit dem einfachen Fußvolk. Die Ritter hatten es sich zu ihrer Aufgabe gemacht, die Pilger zu beschützen, die ihren Anweisungen ohne Murren folgten.
Als sie, bis auf einen Diener, unter sich waren, überlegtensie, wie sie die
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