Das Blut von Magenza
reden, denn unsere Gemeinde bereitet sich darauf vor, ihre Häuser zu verlassen; entweder, um in die Residenz des Bischofs zu gehen oder in die Burg Gerhards. Jeder von uns muss zudem eine bestimmte Summe aufbringen, und wer eine Waffe hat, soll sie bereithalten.“
„Besitzt ihr denn welche?“
„Einen Dolch und ein Schwert“, sagte sie, schien aber nicht wirklich von deren Nutzen überzeugt. „Ich habe unseren Anteil David bereits gegeben, aber etwas für uns zurückbehalten“, redete sie weiter. „Hier ist Geld und mein Schmuck. Hast du inzwischen ein Versteck dafür gefunden?“, fragte sie und reichte ihm eine Schatulle sowie einen prallen Beutel mit Münzen.
„Ja, aber sonderlich einfallsreich ist es nicht. Ich gebe dirdafür eine Bescheinigung.“
„Das ist nicht notwendig.“
„Doch, das ist es. Stell dir vor, mir stieße etwas zu. Wie willst du dann deine Ansprüche geltend machen? Keine Widerrede, sonst nehme ich das nicht an.“
„Gut, wie du meinst“, fügte sie sich.
„Meine Kleidertruhe hat einen doppelten Boden, dort werde ich alles verwahren.“
„Bei dir ist es jedenfalls sicherer als bei uns“, stellte Sara fest. „Widukind, ich will dich wirklich nicht drängen, aber wir müssen in unserem Versteck sein, bevor unsere Gemeinde sich auf Palast und Burg verteilt, sonst werde ich Isaac und Mutter nie dazu bringen können, mit mir zu gehen. Nach dem Sabbat wird es soweit sein.“
„Sara, spätestens morgen Abend erfährst du mehr.“
Wie immer vergewisserte er sich, dass sie heil über den Hof gelangte. Heute bemerkte Widukind, dass ihr Gang schleppender war als gewöhnlich.
Freitag, 23. Mai 1096, 28. Iyyar 4856
Battenheim
Agnes erschien der Weckruf des Hahns an diesem Morgen wie eine Warnung. Sie hatte nur wenig geschlafen und war bereits vor dem ersten Schrei aufgestanden. Nun saß sie allein in der Küche und nahm wehmütig Abschied. Gestern hatte das Gesinde stundenlang alles zusammengetragen, was sie mitnehmen wollten. Jetzt standen die Wagen vollbeladen im Hof und warteten darauf, dass die Ochsen angespannt wurden. Das Fuhrwerk, das Widukind geschickt hatte, erwies sich dabei als äußerst nützlich.
Agnes betrachtete die sauber geputzten Pfannen und Töpfe, die sich noch auf Brettern stapelten oder an Haken hingen. Ihr Blick wanderte weiter bis zur Feuerstelle und deren rußgeschwärztem Rauchfang. Heute Morgen blieb sie kalt, was, solange sie sich erinnern konnte, noch nie der Fall gewesen war. Durch das Fenster wehte eine frische Brise, die ihr den vertrauten Geruch der Felder zutrug. Eine Nachtigall schlug an und ihr betörender Gesang rührte ihr Herz, doch heute klang ihre Melodie wie ein klagendes Abschiedslied.
Agnes behagte die Vorstellung nicht, möglicherweise nie hierher zurückzukehren. Dieses Anwesen war seit mehr als vierzig Jahren ihr Zuhause, hier hatte sie einen Großteil ihres Lebens verbracht und die Menschen, unter deren Dach sie wohnte, waren für sie wie eine Familie. Sie hatte immer gehofft, auf dem hiesigen Friedhof an der Seite ihres Mannes bestattet zu werden. Am liebsten würde sie nicht weggehen, sondern hier ihr Schicksal erwarten. Doch Yrmengardis hatte sie unter Tränen angefleht mitzukommen und Agnes konnte ihr diesen Wunsch nicht abschlagen.
Sie dachte an die Stadt, die ihr trotz der regelmäßigenBesuche immer fremd geblieben war. Dass Widukind sich dort wohlfühlte, konnte sie verstehen. Er war schon immer gierig auf das Leben gewesen und gab sich nicht mit der Einfachheit des Landes zufrieden. Ihn hungerte stets nach Neuem. Es war auch nur eine Frage der Zeit, bis er sich wieder auf Wanderschaft begab, denn sein unruhiger Geist wurde niemals satt.
Die ersten Geräusche im Hausinnern unterbrachen ihre Gedanken. Mühsam stand sie auf, ergriff den Stock, den sie an manchen Tagen zum Gehen benötigte, und ging nach draußen. Die Knechte und Jobst waren dabei, die Zugtiere anzuschirren. Bolko, Alheyt, die Familie seines Sohnes Friedrich sowie Yrmengardis und Hanno kamen nach und nach hinzu. Sie alle wirkten bedrückt und redeten nur das Nötigste.
Bolko überspielte die Angespanntheit, indem er die Plätze zuteilte. „Yrmengardis, Alheyt, Mechthild und die Kinder, ihr setzt euch auf unser Fuhrwerk. Der Pfarrer gesellt sich ebenfalls zu euch. Agnes, du findest auf dem Kutschbock von Jobst Platz. Wir Männer reiten voran, dann folgt unser Fuhrwerk, danach das Gesinde und unser Vieh, zum Schluss Jobst mit Agnes. Unser Haus bildet die
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