Das Blut von Magenza
Wache und verwehrten Hanno zunächst den Zutritt, da der Kämmerer nicht gestört werden wollte. Aber er setzte sich durch und wurde schließlich eingelassen.
„Gott sei Dank, du bist wohlbehalten zurück. Ihr seid früher als erwartet.“
„Ich bin vorausgeritten, um die Lage zu prüfen, denn wir sahen die Rauchsäulen der Feuerstellen. Seit wann sind die Pilger hier?“, fragte Hanno.
„Seit gestern Nacht und ihre Zahl wächst rasant“, seufzte Embricho.
„Die Flüchtlinge rasten weniger als eine Stunde Fußmarsch von Mainz entfernt und warten dort auf mich. Ohne Schutz schaffen wir es nicht in die Stadt. Wir benötigen eine Eskorte von Ruthards Soldaten.“
„Wie stellst du dir das vor? Ich kann doch nicht einfach über sie verfügen.“
„Dann müsst Ihr mit ihm reden. Die Dörfler bringenVieh, Geflügel, Obst, Getreide und Heu mit. Wenn das den Kreuzfahrern in die Hände fällt, fehlt es den Bürgern“, meinte Hanno ernst. „Ihr habt zwei Stunden, Ruthard zu überzeugen und die Eskorte auszusenden. Ich kehre zu Bolko zurück und warte den verabredeten Zeitpunkt ab. Dann setzen wir uns in Bewegung, ob mit oder ohne seine Wachleute.“
„Ich kann dir nichts versprechen, werde es aber versuchen. Willst du wenigstens die Entscheidung des Erzbischofs abwarten?“
„Das kann ich nicht! Ich muss so rasch wie möglich zurück, das habe ich ihnen versprochen. Ihr müsstet das eigentlich einsehen, denn Ihr habt mir beigebracht, zu meinem Wort zu stehen.“
„Natürlich, ich werde mich um Geleit bemühen“, versprach Embricho geflissentlich.
Haus des Tuchmachers
Meister Bertolf kam gerade von einer Unterredung mit dem Stadtgrafen zurück und genehmigte sich einen Schluck Wein. Die Versammlung, die er soeben miterleben musste, steckte ihm noch in den Knochen und er wollte erst einmal zur Ruhe kommen. Gerhard hatte die einflussreichsten Bürger zu sich bestellt, um mit ihnen das weitere Vorgehen zu besprechen. Neben ihm und anderen war auch Utz als Sprecher der Kaufleute anwesend gewesen. Alle zeigten sich angesichts der erwarteten Belagerung skeptisch, aber Utz entpuppte sich als der kritischste unter ihnen. Er befürchtete hohe Einbußen, weil über Tage oder gar Wochen keine neuen Waren weder in die Stadt noch aus ihr herausgebracht werden konnten. Ähnlich dachtenauch die Fuhrleute und Fährbesitzer. Da es für Utz kaum etwas Wichtigeres als Geld gab, versuchte er möglichst viele auf seine Seite zu ziehen.
„Wir müssen unter allen Umständen eine Belagerung verhindern“, äußerte er bestimmt und erntete vom Sprecher der Fuhrleute Zustimmung.
„Das sagt sich so leicht. Wie willst du das bewerkstelligen? Mit guten Worten lassen sie sich nicht überzeugen“, erwiderte Bertolf.
„Dann kaufen wir sie eben!“
„Dass dir nichts anderes einfällt, liegt auf der Hand. Hast du so viel, um sie zum Weiterziehen zu bewegen?“, forderte Gerhard ihn heraus.
„Ich nicht, aber andere.“
Jeder wusste, dass er mit „andere“ die Juden meinte und einige teilten seine Ansicht. Von Gerhard erntete er dafür eine harsche Zurechtweisung. „Du bist spendabel mit dem Geld Dritter, das kann ich nicht gutheißen. Viel wichtiger ist, dass alle Bürger dieser Stadt – und damit meine ich auch wirklich alle – zusammenhalten und wir uns nicht zerstreiten. Der Grund, warum ich diese Versammlung einberief, ist, dass Erzbischof Ruthard und ich eine Übereinkunft getroffen haben.“ Anerkennendes Murmeln war zu hören, von dem der Stadtgraf sich nicht beirren ließ. „Wir haben uns auf eine gemeinsame Linie geeinigt.“
Mit dieser überraschenden Neuigkeit gelang es Gerhard, die Skeptiker für den Moment zum Verstummen zu bringen. Solche Einigkeit zwischen Stadtgraf und Erzbischof gab es sonst nie.
Gerhard fuhr fort: „Es ist wichtig, dass die Bürger sich genauso einvernehmlich verhalten, wie Ruthard und ich es tun. Wenn es tatsächlich zu einer Belagerung kommt,und die Anzeichen sprechen dafür – liegt unsere Stärke in der Einheit. Schon einmal hat die Stadt eine mehrwöchige Belagerung unbeschadet überstanden. Das kann uns auch dieses Mal gelingen. Deshalb schwört eure Familien und Nachbarn darauf ein. Die Bauern der Umgebung werden sich hierher flüchten. Auf den Brachflächen der Stadt werden seit dem Morgengrauen provisorische Unterkünfte für sie errichtet. Seht in ihrer Anwesenheit aber nicht nur die Nachteile, denn die Landbevölkerung bringt auch Nahrung mit. Der Erzbischof und ich werden
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