Das Blut von Magenza
war, würde er ihn hinnehmen, zumal sein Heer allem Anschein nach treu zu ihm stand. Denn nicht nur für die Bürger von Mainz war Einigkeit überlebenswichtig, auch für die Belagerer.
In der Stadt, Palast des Erzbischofs
Die Epistel Emichs versetzte den Erzbischof so in Rage, dass er wütend durch sein Gemach stapfte und für einen Gottesmann ungebührlich fluchte. Was erdreistete sich dieser Leininger, dessen Namen er bis vor Kurzem noch nicht einmal gekannt hatte? Sein Schreiben ließ es an Respekt mangeln und er stellte Forderungen, die Ruthard nicht zu erfüllen gedachte. Aber angesichts der immensen Anzahl von Gotteskriegern, die die Stadt bedrohten, war er zum Handeln gezwungen. Vom Versorgungsstandpunkt auskonnten sie eine längere Belagerung überdauern. Nahrung und Wasser hatte er rationieren lassen und die Zuteilung wurde streng kontrolliert. Soldaten bewachten Brunnen, damit sich niemand über die Maßen bediente oder auf andere Weise an ihnen zu schaffen machte.
Noch standen sie am Anfang einer schweren Zeit und die Bürger nahmen die Einschränkungen ohne zu murren hin. Doch wie lange sie letztendlich diesen Zustand ertrugen, ließ sich schwer vorhersagen. Mit jedem Tag des Eingeschlossenseins geriet ihr Leben ein Stück mehr in Unordnung. Das Gift der Unfreiheit würde irgendwann ihre Gemüter infizieren und früher oder später für Unfrieden sorgen, dem die Harmonie zum Opfer fiel. Dann würde sich Finsternis über die Stadt legen. Es konnte zwar Tage, Wochen oder gar Monate dauern, doch es war absehbar. Ruthard fürchtete diesen Augenblick, in dem sich die Herzen der Menschen verhärteten und sie unnachgiebig gegenüber ihren Nächsten machte. Wenn es so weit kam, würde sich innerhalb der Stadt eine Front auftun, die sich gegen ihre Herren richtete und nicht mehr zu beherrschen wäre.
Er trat ans Fenster und schaute hinunter in den Hof, wo sich etliche Juden aufhielten. Er sah Mütter, die ihre Kinder in den Armen hielten, Verlobte im zärtlichen Gespräch und Alte, die im Gebet versunken waren. Auch wenn sie Ungetaufte waren, fühlte er mit ihnen, denn sie waren wie er aus Fleisch und Blut, mit den gleichen Gefühlen, Bedürfnissen und Sehnsüchten wie jeder Mensch. Obwohl sie nicht zu seiner Herde gehörten, sorgte er sich um ihr Wohlergehen. Sein Schicksal war mit dem ihren verknüpft, das hatte ihm der Kaiser unmissverständlich klargemacht. Er wollte nicht allein entscheiden. Deshalb rief er dieHerren des Domkapitels zusammen und ließ auch Conrad und Manegold dazukommen. Gemeinsam würden sie die passende Antwort auf das Schreiben finden.
Altmünsterkloster
Sara und Rachel hatten den Tag in ihrer spärlich eingerichteten Kammer in Ungewissheit verbracht. Mehr als zwei Betten, einen Tisch, zwei Stühle, eine Kerze und einen Nachttopf gab es nicht. Durch das hochliegende, kleine Fenster drang nur wenig Licht und kaum frische Luft herein. Aber sie beschwerten sich nicht, sondern waren dankbar, hier untergekommen zu sein. Einmal am Tag erhielten sie eine Mahlzeit, die großzügig bemessen war. Meist ließen sie einen Teil der Speisen liegen, da sie vor Sorge um die Gemeinde sowieso kaum etwas essen konnten. Trotz der dicken Mauern und der Abgeschiedenheit der Kammer hörten sie seit dem Morgen das Getöse des anrückenden Heeres, denn das Kloster lag dicht an der Stadtmauer. Die Angst lähmte sie beide und so sprachen sie kaum miteinander.
Nach der Komplet kam die Äbtissin, um nach ihnen zu sehen und Sara fragte, was vor sich ging. „Ich will euch nicht belügen“, bekannte sie mit ernster Miene. „Die Krieger, die vor der Stadt lagern, sind so zahlreich wie die Sandkörner am Ufer des Meeres. Wir können nur hoffen und beten, dass der Herr seine Hand schützend über uns hält. Eure Glaubensbrüder haben sich gestern Abend unter den Schutz des Bischofs und des Burgherrn begeben. Augenblicklich sind sie in Sicherheit. Doch ich hörte, dass die Belagerer Forderungen stellen, nur welcher Art sie sind, weiß ich nicht!“
„Ich ahne, was sie verlangen. Es betrifft vor allem uns Juden“, entgegnete Sara bitter.
Auch die Mutter Oberin schien dies zu befürchten, äußerte sich aber nicht weiter. „Habt ihr alles, was ihr benötigt?“, fragte sie noch, bevor sie Rachel und Sara wieder allein ließ.
„Ja, uns fehlt es an nichts und wir danken Euch für Eure Hilfe.“
Als sie wieder allein waren, wollte Rachel in Wehklagen ausbrechen, doch Sara unterbrach sie. „Mutter, willst du
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