Das Blut von Magenza
hätte morgen eigentlich nach Mainz zurückkehren können. Doch so schnell wollte er nicht aufgeben. Er wunderte sich zunehmend, dass ein Mönch auf Pilgerreise, der noch nicht einmal seine Übernachtung zahlen konnte, überhaupt ausgeraubt worden war. Deshalb beschloss er, nach Speyer weiterzureiten, um dort Anselms Fährte aufzunehmen. Nach dem Essen ging er in sein Zimmer und blockierte die Tür mit einem Stuhl. Er liebte keine unwillkommenen Überraschungen, schon gar nicht während der Nacht.
Dienstag, 18. Dezember 1095, 19. Tewet 4856
Mainz, Benediktinerkloster
Im Weinkeller des Benediktinerklosters hantierten die Mönche seit der Vigil im Schweiße ihres Angesichts. Sie hatten mit dem Abstechen des Weins auf Bruder Anselm gewartet, dessen Rückkehr um den 15. Dezember angekündigt gewesen war. Da er aber nun nicht mehr unter ihnen weilte, mussten sie diese Arbeit ohne seine Hilfe in Angriff nehmen. Bruder Josephus, der seit etlichen Jahren Anselms rechte Hand war, hatte von der Traubenernte über das Keltern bis zum Abschluss der Gärung alles genau überwacht. Seit der Wein in den Fässern ruhte, überzeugte er sich immer wieder, dass alles seine Ordnung hatte. Unter Anselm war das Abfüllen immer vor Weihnachten abgeschlossen gewesen; wenn sie sich an diesen Zeitplan halten wollten, mussten sie sich sputen.
Während Josephus im Schein der Fackeln kontrollierte, dass jeder Handgriff saß, wurde ihm der Verlust Anselms erst so richtig bewusst. Er erinnerte sich an seine ruhige Art, mit der er die Aufsicht über die Kellerarbeit geführt hatte. Seine Augen waren stets überall gewesen und er hatte immer sofort gesehen, wenn es an irgendetwas mangelte oder wenn Hilfe vonnöten war. Josephus hoffte, dass er einen ebenso guten Kellermeister abgeben würde.
Aber ihm blieb keine Zeit für Sentimentalitäten. Denn jetzt begann der diffizile Teil der Arbeit. Die neuen Fässer waren in den Keller geschafft und neben die alten gerollt worden. Nun wurden die ersten beiden mittels eines Schlauchs an den Spundlöchern verbunden, die sich ein gutes Stück oberhalb der abgelagerten Hefeschicht befanden. Sobald das geschehen war, wurde an der oberen Eintrittsöffnung des vollen Fasses ein großer Blasebalgangesetzt und sämtliche Löcher wurden abgedichtet. Jetzt kamen die kräftigsten Brüder zum Einsatz, die den Wein umpumpten, wobei sie nicht nur Ausdauer beweisen, sondern auch mit großer Sorgfalt vorgehen mussten.
Bruder Josephus durfte den richtigen Zeitpunkt nicht verpassen, an dem das Umfüllen beendet war, denn die sedimentierte Hefe durfte aus dem alten Fass keinesfalls in das neue gelangen. Josephus, der anfangs gefürchtet hatte, er könnte an der großen Verantwortung scheitern, wurde immer sicherer, als er sah, dass jeder Handgriff saß und seine Mitbrüder seine Anordnungen befolgten. Bald machte er sich keine Gedanken mehr über das, was er tat, und agierte mechanisch, gerade so, als führe er seit Jahren hier unten das Zepter. Trotzdem fürchtete er sich vor der ersten Probe. Was, wenn der Wein nach Essig schmeckte oder völlig trübe war?
Sollte er tatsächlich sauer sein, war er verloren. Zeigte er dagegen nur eine leichte Trübung, konnte man ihn retten. Er erinnerte sich an die Rezepturen, die Anselm in einem kleinen Buch gesammelt hatte. Trübungen beseitigte er mit klarem Hühnereiweiß, Tonerde oder reinem Sand, dabei rührte er die Substanzen nie gemeinsam, sondern stets einzeln ein. Sie sorgten dafür, dass die Trübstoffe sich am Boden absetzten. Zwar musste der Wein dann erneut umgefüllt werden, dafür war aber das Ergebnis optimal.
Doch Anselm probierte auch andere Methoden aus, da er stets das Beste aus dem Wein herausholen wollte. Manche von ihnen behielt er bei, weil sie sich als gut erwiesen, andere verwarf er nach nur einmaliger Anwendung. Für ihn waren das Räuchern, die Zugabe von Wacholderbeeren oder Holz genauso verpönt wie das Einlegen bestimmter Wurzelarten. Er vertrat die Auffassung, dass dadurch nurder ursprüngliche Geschmack des Weines beeinträchtigt würde. Auch das Hinzufügen von Quecksilber, das die reichen Frauen zum Bleichen ihrer Haut verwendeten, stellte sich als gefährlich heraus, denn über einen längeren Zeitraum eingenommen, führte es unweigerlich zu Vergiftungen.
Aber Anselm achtete nicht nur während der Herstellung auf Sorgfalt, sondern richtete sein Augenmerk auch auf die korrekte Lagerung. Er hatte entdeckt, dass Luft den Wein rascher verderben
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