Das Blut von Magenza
Kopfnicken. Der große Tisch, der quer zu den anderen verlief, war Gerhard, ihr, den Kindern sowie den Gästen vorbehalten, wobei sie Griseldis möglichst weit weg von ihrem Gemahl platzieren wollte. An den anderen Tischen würde das Gesinde sitzen.
Gerhard kehrte in guter Stimmung mit seinen Gästen zurück, die sich lobend über den festlich hergerichteten Saal äußerten. Griseldis bedankte sich, indem sie ihr ein weiteres Geschenk überreichte, dieses Mal war es Veilchenwasser. Reinhedis quittierte das mit falscher Freundlichkeit und tat, als freue sie sich darüber. Dabei würde sie es später ausschütten.
Als die Plätze eingenommen wurden, setzte sie Griseldis zwischen Jörg und Wylhelm, die sich in ihrer Galanterie gegenseitig überboten. Nach dem Tischgebet wurde das Essen aufgetragen und bald bog sich die Tafel unter der Fülle der Speisen. Die Rindfleischtaschen, die Hammelkeule am Spieß, die Hühner und der geräucherte Lachs waren genauso heiß begehrt wie die in Schmalz ausgebackenen Krapfen, das gegarte Gemüse und das Obst. Fröhliches Geplauder erfüllte den Raum und die Anspannung fiel allmählich von Reinhedis ab, denn Gerhard beachtete seinenweiblichen Gast nicht über Gebühr, sondern lächelte seiner Frau stattdessen immer wieder zu. Griseldis schien es nicht zu bemerken, sie unterhielt sich angeregt mit ihren Tischherren.
Dennoch war die Burgherrin ungewohnt still, was Gerhard irgendwann auffiel. „Du bist so schweigsam. Ist etwas mit dir?“, fragte er besorgt.
„Ich bin nur etwas erschöpft“, antwortete sie und schenkte ihm ein verzagtes Lächeln.
„Dann zieh dich doch zurück.“
Aber genau das würde Reinhedis keinesfalls tun. Sie ließ Gerhard nicht allein mit Griseldis, lieber fiel sie vor Müdigkeit vom Stuhl. „Nein, ich bleibe. Gleich kommen doch die Spielleute. Sie werden mich gewiss aufmuntern.“
Als wenig später die Musikanten mit Rebec, Trommel, Flöte und Dudelsack aufspielten, hielt es keinen mehr auf seinem Platz. Griseldis tanzte abwechselnd mit Jörg und Wylhelm und sogar Reinhedis schwang mit ihrem Gemahl das Tanzbein. Die Töchter hüpften im Takt und klatschten dabei in die Hände und auch das Gesinde schloss sich dem fröhlichen Treiben an. Als Griseldis spät am Abend von Jörg und Wylhelm nach Hause gebracht wurde und Gerhard seiner Frau ins Ehegemach folgte, fand dieser Tag für Reinhedis doch noch einen versöhnlichen Abschluss.
Auf dem Weg nach Battenheim
Widukind verließ am Weihnachtsmorgen mit dem ersten Hahnenschrei das Haus. Er ging durch das südliche Tor, um das Pferd, das sein Bruder ihm geschickt hatte, aus seinem Stall im Vorort Selenhofen zu holen. Das Tier war ein großer, kräftiger Brauner, der ihn als Reiter sofortakzeptierte. Widukind genoss es, einmal wieder aus Mainz herauszukommen. Während seiner Wanderjahre hatte er die freie Natur zu schätzen gelernt und freute sich nun auf den nicht übermäßig langen Ritt in sein Heimatdorf. Der Wind hatte während der Nacht die regenschweren Wolken vertrieben und sich inzwischen gelegt, sodass der Himmel in stählernem Blau erstrahlte. Wegen des Feiertages waren nur wenige Menschen unterwegs und er hatte die Straße fast für sich allein. Da das Pferd die Strecke kannte, überließ Widukind ihm die Führung. Das gab ihm Zeit nachzudenken.
Mit gewissem Bauchgrimmen dachte er an den bevorstehenden Besuch, vor allem weil er nicht wusste, wie sein Vater auf sein Erscheinen reagieren würde. Der Rest der Familie, allen voran seine Mutter Alheyt und seine Schwester Yrmengardis, konnten es sicher kaum erwarten ihn wiederzusehen und würden ihm gewiss einen herzlichen Empfang bereiten, genau wie sein Bruder Friedrich und dessen Frau Mechthild. Nur seinen Bruder Otto würde er nicht zu Gesicht bekommen, denn ihn hielt es in Worms.
Widukind dachte an Agnes, seine alte Kinderfrau. Er wusste nicht, ob sie noch lebte, denn während der letzten Monate hatte er keine Briefe mehr erhalten. Schon bei seinem Abschied vor mehr als drei Jahren war sie nicht mehr die Rüstigste gewesen und hatte etliche Tränen verdrückt, weil sie fürchtete, vor seiner Rückkehr zu sterben. Widukind war immer schon ihr heimlicher Liebling und daran hatte sich nichts geändert. Da er das wusste, brachte er Agnes genau wie den Familienmitgliedern ein kleines Geschenk mit.
Seine Gedanken wanderten weiter zu seiner Schwester Yrmengardis. Obwohl sie längst das heiratsfähige Alter erreicht hatte, lebte sie immer noch im Haus
Weitere Kostenlose Bücher