Das Blut von Magenza
lauschten ergriffen. Der würzige Duft kostbaren Weihrauchs verbreitete sich bald bis in die kleinen Seitenkapellen und unterstrich die Feierlichkeit dieser Nacht.
Die Lesungen übernahmen die Priester, das Evangelium verkündete der Erzbischof selbst. Dabei klang seine Stimme noch etwas schwach und Widukind musste genau hinhören, um ihn zu verstehen. Die meiste Zeit über wandte er dabei den Gläubigen den Rücken zu, aber wann immer er sich umdrehte, schien es Widukind, als suchten seine Augen Griseldis. Im Gegensatz zu Reinhedis schien ihr das lange Stehen nichts auszumachen. Wie ein unverrückbares Marmorbildnis harrte sie aus, während ein geheimnisvolles Lächeln ihre Lippen umspielte. Allerdings hatte sie inzwischen ihren Überwurf geöffnet, und als sie sich nach dem Ende der Liturgie beim Verlassen des Gotteshauses umdrehte und an ihm vorüberging, konnteWidukind ein Kreuz mit blutroten Steinen erkennen, das sich deutlich von ihrem Dekolleté abhob. Vielleicht war es ja das ungewöhnliche Schmuckstück gewesen, das die Aufmerksamkeit Ruthards auf sich gezogen hatte, obwohl Widukind das nicht glaubte.
Dienstag, 25. Dezember 1095, 26. Tewet 4856
Bischofspalast
Erzbischof Ruthard fühlte sich noch etwas wacklig auf den Beinen. Er hatte soeben die Messe gelesen und befand sich nun in der Sakristei des „Alden Doms“, wo Conrad ihm beim Ausziehen des Ornats half. Die letzten beiden Tage hatten ihn mehr Kraft gekostet als erwartet und er spürte, dass ihm die Krankheit immer noch in den Knochen steckte.
„Ich fühle mich etwas schwach“, meinte er zu Conrad, als dieser die kostbar verzierte Kasel in einem Schrank verstaute.
„Ihr solltet Euch besser schonen, denn Ihr seid heute wirklich sehr blass“, stimmte der Mönch ihm zu und legte auch das Messbuch in den Schrank, den er dann verschloss. „Ich habe aber das Gefühl, dass es nicht nur Eure Krankheit ist, die Euch zu schaffen macht, sondern dass noch etwas anderes auf Eurer Seele lastet.“
„Vor dir kann man einfach nichts verbergen“, seufzte Ruthard. „Es gibt da tatsächlich etwas, das mich bedrückt und über das ich gern mit dir reden würde“, meinte er zu seinem Schreiber.
„Betrifft es diesen Kreuzzug?“, hakte Conrad nach, der ihm erst vor Kurzem davon erzählt hatte.
„So ist es. Komm doch bitte mit in meine Residenz, damit wir reden können. Dort sind wir ungestört.“
„Ihr werdet die Domherren verärgern, die Euch zum gemeinsamen Mittagsmahl erwarten!“, gab Conrad zu bedenken.
„Ich führe meine Krankheit als Entschuldigung an, das werden sie verstehen“, meinte Ruthard nur.
Im Palast angekommen, ging er mit Conrad direkt in seineRäume, wo ihnen Friedbert wenig später eine Mahlzeit servierte. Obwohl die Speisen delikat waren, aß der Bischof ohne Appetit. Auch Conrad, der sich stets in Enthaltsamkeit übte, nahm nur wenig zu sich. Der Erzbischof war froh, dass er ihm Gesellschaft leistete und nicht Embricho. Den Anblick des gierig schlingenden Kämmerers hätte er einfach nicht ertragen.
„Conrad, hast du nichts ausgelassen, als du mir von der Ausrufung des Kreuzzuges erzähltest?“
„Nein, mehr ist mir nicht bekannt. Warum fragt Ihr?“
„Ich habe ein ungutes Gefühl und spüre eine unerklärliche Unruhe. Mir scheint, als zöge am Horizont großes Ungemach auf.“
Conrad wusste allerdings mehr über die Vorgänge in Frankreich, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verkündung des Papstes standen. „Euer Gefühl täuscht Euch nicht. Es mehren sich besorgniserregende Berichte aus unserem Nachbarland. Viele Gläubige wollen nicht bis zum 15. August warten, sondern scharen sich bereits jetzt um selbsternannte Anführer. Peter von Amiens gehört zu ihnen genauso wie Walter sans Avoir oder Wilhelm von Melun. Diese Pilger sind meist einfache Männer und Frauen, selbst Kinder sollen darunter sein. Sie verstehen zwar nicht mit der Waffe zu kämpfen, dafür ist ihr Herz für die Sache entflammt und sie folgen ihren Befehlshabern bereitwillig, wohin sie sie auch führen. Einige haben sich bereits Richtung Osten in Bewegung gesetzt.“
„Das klingt nicht sonderlich vertrauenerweckend. Über Peter und Walter ohne Habe weiß ich einiges, aber ich kenne diesen Wilhelm von Melun nicht.“
„Er ist ein Vicomte und war bei der Belagerung von Toledo dabei, als man die Mauren aus Spanien vertrieb. Allerdingsverließ er den Schauplatz vorzeitig ohne Begründung und gilt seitdem als Feigling. Mit seiner Teilnahme
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